Ab 2023 keine Entschädigung mehr bei Zugverspätungen wegen höherer Gewalt
Bahnreisende erhalten ab 2023 keine Entschädigung mehr, wenn ihr Zug etwa aufgrund eines Unwetters verspätet ist. Das EU-Parlament bestätigte am Donnerstag eine entsprechende Einigung mit den Mitgliedstaaten auf eine Reform der Fahrgastrechte. Die Grünen hatten mit Unterstützung von Abgeordneten weiterer Fraktionen noch eine Reihe von Änderungsanträgen eingebracht, welche die Einigung hätten kippen können - hatten damit aber keinen Erfolg.
Die neuen Regeln sehen vor, dass Bahnunternehmen von ihrer Entschädigungspflicht für Verspätungen oder Zugausfälle "durch außergewöhnliche Umstände wie extreme Witterungsbedingungen oder große Naturkatastrophen" entbunden werden. Auch bei Störungen wegen Gesundheitskrisen "wie beispielsweise Pandemien" und Verspätungen "durch bestimmte Handlungen von Dritten" müssen die Unternehmen nicht mehr zahlen.
Streiks des Bahnpersonals gelten hingegen nicht als Grund, ebenso wenig "normale jahreszeitlich bedingte Witterungsbedingungen wie Herbststürme" oder "regelmäßige Überflutungen" etwa wegen der Schneeschmelze. Unabhängig vom Anspruch auf Erstattung haben Bahnreisende allerdings auch bei Verspätungen und Zugausfällen wegen höherer Gewalt Anspruch, umgeleitet zu werden, um möglichst schnell ans Ziel zu kommen.
Der verkehrspolitischer Sprecher der Unions-Parteien im EU-Parlament, Jens Gieseke (CDU), begrüßte den Abschluss der Reform insgesamt als Verbesserung, die rechtliche Klarheit schaffen werde. Fair sei auch, dass Bahnpassagiere nun ähnliche Rechte hätten, "wie es im Flugverkehr der Fall ist".
Der Europäische Verbraucherverband (Beuc) hingegen geht davon aus, dass die "zu weit gefasste" Definition höherer Gewalt unweigerlich zu rechtlichen Anfechtungen führen werde. Der Luftverkehr, wo Höhere-Gewalt-Klauseln schon länger gelten, sei ein Negativ-Beispiel: "Nach fast 20 Jahren der Anwendung werden hier immer noch Fälle vor den EU-Gerichtshof gebracht, um zu bestimmen, was außergewöhnlichen Umstände sind", erklärte Beuc-Sprecher Andrew Canning.
Scharfe Kritik äußerte Deutschlands oberster Verbraucherschützer Klaus Müller. Statt ein höheres Schutzniveau für Kunden zu beschließen, habe das Parlament "vor allem den Interessen der Bahnbetreiber" nachgegeben. Die Rechte der Bahnkunden seien hingegen "dauerhaft auf dem Abstellgleis", erklärte der Vorstand des Verbraucherzentrale Bundesverbandes (vzbv).
Bei der Höhe der Entschädigungen bringt die Reform der EU-Regeln ebenfalls keine Verbesserungen für Verbraucher. Die Abgeordneten hatten sich in den langen Verhandlungen mit den Mitgliedstaaten mit ihrer Forderung nach höheren Erstattungssätzen nicht durchsetzen können. Es bleibt bei 25 Prozent des Ticketpreises ab einer Stunde Verspätung und 50 Prozent ab zwei Stunden.
Die Verkehrsminister der Mitgliedstaaten hatten es auch abgelehnt, verschiedene Eisenbahnunternehmen zu verpflichten, gemeinsame Tickets anzubieten. Sogenannte Durchfahrtskarten werden nur bei einer Reise mit Umstieg vom Regional- in den Fernverkehr verpflichtend, wenn alle Züge vom selben Bahnunternehmen betrieben werden. In Deutschland ist dies ohnehin weitgehend üblich.
Die Grünen-Abgeordnete Anna Deparanay-Grunenberg hatte sich verpflichtende Durchfahrtskarten besonders im grenzüberschreitenden Bahnverkehr gewünscht, um die "Irrfahrt durch den internationalen Tarifdschungel" zu beseitigen. So könne die Bahn keine attraktive Alternative zum Flugzeug sein.
Kleine Verbesserungen gibt es für Menschen mit Behinderungen und eingeschränkter Mobilität. Sie sollen künftig in allen Zügen in der EU ein Recht auf Unterstützung etwa beim Ein- und Aussteigen haben, allerdings nur, "sofern geschultes Personal im Einsatz ist". In einigen Jahren sollen zudem alle Züge über Stellplätze für mindestens vier Fahrräder verfügen.
(K. Berger--BTZ)