Wirtschaft: "Schmerzhafte" Kompromisse im Koalitionsvertrag
Ein Koalitionsvertrag mit "Licht und Schatten": Bei Unternehmensverbänden ist die Grundsatzeinigung von Union und SPD auf ein gemischtes Echo gestoßen. Trotz einiger Schwächen sei der Koalitionsvertrag eine "gute Grundlage für eine erfolgreiche Regierungsarbeit", erklärte der Präsident des Bankenverbands, Hans-Walter Peters, am Mittwoch. Der Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI) äußerte sich "unzufrieden", der Verband Deutscher Maschinen- und Anlagenbau (VDMA) kritisierte die Einigung als "halbherzig, lustlos, uninspiriert".
Der Koalitionsvertrag sende "widersprüchliche Signale", erklärte der Deutsche Industrie- und Handelskammertag DIHK. Positiv seien die geplanten Investitionen in eine bessere Bildung und Digitalisierung. Ein großer Schwachpunkt sei hingegen der Verzicht auf Steuerentlastungen für Unternehmen - "und das zu einem Zeitpunkt, an dem wichtige Standortkonkurrenten die Steuern senken", kritisierte DIHK-Präsident Eric Schweitzer. "In der Gesamtschau ist die deutsche Industrie mit dem Koalitionsvertrag unzufrieden", erklärte BDI-Präsident Dieter Kempf. Beim Geldausgeben bestehe "eine klare Schieflage in Richtung Umverteilung anstatt in Zukunftssicherung".
"Der notwendige Neuanfang bleibt aus", beklagte auch VDMA-Hauptgeschäftsführer Thilo Brodtmann. Ein klares Bekenntnis zur steuerlichen Förderung von Forschung und Entwicklung fehle. Zudem sei die sachgrundlose Befristung "sachgrundlos dem Koalitionsfrieden geopfert" worden. Aus Sicht der Wirtschaft seien die vereinbarten Kompromisse "definitiv schmerzhaft", erklärte der Bundesverband Großhandel, Außenhandel, Dienstleistungen (BGA). "Den Preis für steigende Ausgaben zahlen nicht Union und SPD, sondern Unternehmen, Beschäftigte und Steuerzahler", kritisierte BGA-Präsident Holger Bingmann.
Aus Sicht der Immobilienwirtschaft birgt der Koalitionsvertrag "Licht und Schatten". Einerseits sei die geplante Neubauoffensive ein "wichtiger Schritt in die richtige Richtung". Die Maßnahmen zur Eigenheimförderung seien allerdings "verbesserungswürdig". So setze das Baukindergeld, das künftig Familien zugute kommen soll, an den Kaufpreisen an. Wichtiger seien aber die Kaufnebenkosten, "die aktuell den größten Stolperstein beim Immobilienkauf ausmachen", erklärte der Zentrale Immobilien Ausschuss ZIA.
Der Branchenverband Bitkom lobte indes, für die Digitalpolitik bedeute der Koalitionsvertrag verglichen mit dem Sondierungspapier einen "riesigen Schritt nach vorne". Dort seien Digitalthemen noch an den Rand gedrängt worden. Zu begrüßen sei unter anderem das Vorhaben, bis 2025 flächendeckend Gigabit-Internet auszurollen, erklärte Bitkom-Präsident Achim Berg. Zugleich kritisierte er, dass ein mit zehn bis zwölf Milliarden Euro ausgestatteter Gigabit-Fonds von den Netzbetreibern über Frequenzversteigerungen selbst finanziert werden solle.
Als "gute Grundlage" bezeichnete den Koalitionsvertag der Bundesverband deutscher Banken. Bemerkenswert sei, "dass die Politik der Attraktivität des Finanzplatzes Deutschland wieder mehr Aufmerksamkeit schenken wird", erklärte Bankenpräsident Peters. Positiv äußerte sich auch der Spitzenverband der deutschen Lebensmittelwirtschaft. Zu begrüßen sei insbesondere "das Bekenntnis der Großen Koalition zum europäischen Binnenmarkt", erklärte der Bund für Lebensmittelrecht und Lebensmittelkunde (BLL).
Beim Thema Schiene sei der Koalitionsvertrag "erfreulich konkret", erklärte die Allianz pro Schiene und wertete das bahnpolitische Programm von Union und SPD als Schritt in die richtige Richtung. "Die Bahn kommt in Fahrt", lobte auch der ökologisch ausgerichtete Verkehrsclub Deutschland VCD und schränkte zugleich ein: "Doch Klimaschutz und Verkehrswende stehen weiter im Stau."
Des Bundesverband Neue Energiewirtschaft kritisierte, das Energiekapitel im Koalitionsvertrag sei "in vielen Teilen Stückwerk". Um die Energiewende entscheidend voranzubringen, fehle es an wirksamen Instrumenten für die Kopplung der Sektoren Strom, Wärme und Mobilität. Nach einem rund 24-stündigen Verhandlungsmarathon war Union und SPD bei den Gesprächen am Mittwochmorgen ein Durchbruch gelungen. Zuvor hatte es stundenlang vor allem bei den Streitthemen in der Gesundheits- und Arbeitsmarktpolitik gehakt.
(N. Lebedew--BTZ)