Milliardenschweres EZB-Anleihenkaufprogramm teils verfassungswidrig
Das milliardenschwere Anleihenkaufprogramm der Europäischen Zentralbank (EZB) ist in Teilen verfassungswidrig. Das Bundesverfassungsgericht gab am Dienstag mit einem weitreichenden Urteil mehreren Klagen überwiegend statt. Die EZB handelte demnach nicht innerhalb ihrer Kompetenzen, weil sie nicht prüfte, ob die Maßnahmen verhältnismäßig sind. Bundesregierung und Bundestag hätten Grundrechte verletzt, weil sie nicht dagegen vorgegangen seien. Das Bundesverfassungsgericht stellte sich damit gegen ein anderslautendes Urteil des Europäischen Gerichtshofs (EuGH). (Az. 2 BvR 859/15 u.a.)
Die Entscheidung war gerade angesichts der milliardenschweren Notprogramme der EZB in der Corona-Krise mit Spannung erwartet worden. Die Karlsruher Verfassungsrichter machten aber deutlich, dass über diese aktuellen Hilfsmaßnahmen nicht entschieden worden sei. Gerichtspräsident Andreas Voßkuhle räumte gleichwohl ein, dass "in Zeiten wie diesen, in denen die europäische Solidarität in nie dagewesener Weise herausgefordert wird", das Urteil "auf den ersten Blick irritierend" wirken könne.
Konkret ging es in dem Urteil um das EZB-Programm PSPP (Public Sector Purchase Programme), in dessen Rahmen die Zentralbank bis Ende 2018 bereits 2,6 Billionen Euro in die Finanzmärkte pumpte. Die gegen diese Geldpolitik gerichteten Verfassungsbeschwerden beschäftigen die Karlsruher Richter seit Jahren. Im Jahr 2017 rief das Verfassungsgericht den Europäischen Gerichtshof (EuGH) an und machte bereits damals seine Zweifel an dem Programm deutlich. Der EuGH stufte die Anleihenkäufe aber im Dezember 2018 als rechtens ein. Das Verfassungsgericht wich nun von dieser Auffassung ab.
Die Beschlüsse des EZB-Rates seien trotz des anderslautenden Urteils des EuGH "offensichtlich nicht mit den Vorgaben des Europarechts vereinbar", sagte Voßkuhle. Die EZB habe die Verhältnismäßigkeit nicht geprüft. Die Maßnahmen hätten aber "erhebliche ökonomische Auswirkungen auf nahezu alle Bürger", die davon als Aktionäre, Mieter, Immobilienbesitzer, Sparer oder Versicherungsnehmer betroffen seien. Deshalb hätte die EZB zwischen diesen Konsequenzen und den verfolgten Ziele abwägen müssen. Eine solche Abwägung habe es aber "soweit ersichtlich" nicht gegeben.
Einen Verstoß gegen das Verbot der monetären Haushaltsfinanzierung von Staaten stellte das Verfassungsgericht allerdings nicht fest. Auch dies war in den Verfassungsbeschwerden geltend gemacht worden. Die Karlsruher Richter waren allerdings dennoch der Ansicht, dass Bundesregierung und Bundestag die Kläger in ihren Rechten verletzt hätten. Regierung und Parlament hätten es unterlassen, dagegen vorzugehen, dass die EZB weder geprüft noch dargelegt habe, dass die getroffenen Maßnahmen verhältnismäßig seien.
Bundesregierung und Bundestag seien nun verpflichtet, auf eine Verhältnismäßigkeitsprüfung durch die EZB hinzuwirken, sagte Gerichtspräsident Voßkuhle. Der Bundesbank sei es untersagt, nach einer notwendigen Übergangsfrist von höchstens drei Monaten an den entsprechenden EZB-Beschlüsse weiter mitzuwirken. Voßkuhle verwies aber zugleich darauf, dass der EZB-Rat in einem neuen Beschluss nachvollziehbar darlegen könne, dass die mit dem Anleihenkaufprogramm PSPP "angestrebten währungspolitischen Ziele nicht außer Verhältnis zu den damit verbundenen wirtschafts- und fiskalpolitischen Auswirkungen stehen".
Das Karlsruher Urteil könnte enorme Auswirkungen auf die Europapolitik haben. Gerichtspräsident Voßkuhle hob selbst zu Beginn seiner Urteilsbegründung hervor, dass das Verfassungsgericht erstmals in seiner Geschichte festgestellt habe, "dass Handlungen und Entscheidungen europäischer Organe offensichtlich nicht von der europäischen Kompetenzordnung gedeckt sind und daher in Deutschland keine Wirksamkeit entfalten können".
(D. Meier--BTZ)