Wirtschaft reagiert gespalten auf erste Lockerungen der Corona-Schutzmaßnahmen
Die Beschlüsse von Bund und Ländern zur vorsichtigen Lockerung einiger Corona-Schutzmaßnahmen sind in der Wirtschaft auf ein geteiltes Echo gestoßen. Der deutsche Einzelhandel warnte vor "Wettbewerbsverzerrungen und Rechtsunsicherheiten" durch die geplante schrittweise Öffnung der Läden. Der deutsche Industrie- und Handelskammertag (DIHK) kritisierte das Fehlen klarer Perspektiven für die Betriebe. Arbeitgeberpräsident Ingo Kramer begrüßte das "richtige Maß" der Schritte, fordert aber weitergehende Lockerungen im kommenden Monat.
Der Handel kritisierte am Mittwochabend den Fahrplan für die Öffnung der Geschäfte, die zunächst auf Flächen von bis zu 800 Quadratmetern begrenzt sein soll. "Lockerungen der Ladenschließung dürfen sich nicht an Betriebsgrößen oder Verkaufsflächen festmachen. Die jetzt beschlossenen Vorgaben führen zu Wettbewerbsverzerrungen und Rechtsunsicherheiten", erklärte der Hauptgeschäftsführer des Handelsverbands Deutschland (HDE), Stefan Genth.
Es gebe aus Sicht des Handels kein Sachargument für eine stufenweise Öffnung der Läden, Abstands- und Hygieneregeln könnten sowohl in kleinen als auch in großen Geschäften eingehalten werden. Die Unternehmen seien in der Lage, entsprechende Vorgaben umzusetzen. Der HDE appellierte deshalb an die Politik, die Beschlüsse zu überdenken und entsprechend anzupassen.
DIHK-Präsident Eric Schweitzer beklagte, dass trotz erster kleiner Signale von Öffnungen im Bereich des Einzelhandels für viele Betriebe weiterhin eine klare Perspektive für ihr Geschäft fehle. "Ein wirklicher gemeinsamer Fahrplan Richtung Normalität ist der heutige Beschluss noch nicht, dafür sind noch zu wenig Konturen deutlich", erklärte Schweitzer. So sollten auch Geschäfte unabhängig von der Verkaufsfläche und der Branche jenseits des Handels zeitnah die Chance erhalten "zu beweisen, dass sie Abstandsregeln und Hygienevorschriften erfüllen können".
Das Gastronomie- und Hotelgewerbe beklagte die Fortdauer vieler massiver Einschränkungen und sieht seine Branche als am heftigsten von den Restriktionen betroffen. "Unsere Betriebe waren die ersten, die geschlossen wurden, und sind nun die letzten, die wieder öffnen dürfen", erklärte der Präsident des Deutschen Hotel- und Gaststättenverbandes (Dehoga), Guido Zöllick.
Der Verbandschef betonte, dass das Gastgewerbe alles akzeptiere, was gesundheitspolitisch geboten sei. Allerdings müssten die Maßnahmen nachvollziehbar und begründet sein. Er forderte die Einführung eines reduzierten Mehrwertsteuersatzes und die Bildung eines sogenannten Rettungs- und Entschädigungsfonds.
Grundsätzliche Zustimmung zu den Entscheidungen kam von Arbeitgeberpräsident Kramer. "Die Beschlüsse der Bundesregierung und der Ministerpräsidenten haben ein richtiges Maß an Sicherheit für die Gesundheitsvorsorge bei ersten Schritten zur Wiederaufnahme des öffentlichen und wirtschaftlichen Lebens gefunden", erklärte er.
Auf die erste Öffnung von Ladengeschäften solle dann in einem weiteren Schritt im Mai eine Ausweitung unabhängig von der Verkaufsfläche ermöglicht werden. Außerdem sollte die Öffnung erster Restaurants in Erwägung gezogen werden, die eine großzügige Platzierung ermöglichen.
Der Bundesverband mittelständische Wirtschaft (BVMW) kritisierte dagegen die getroffenen Corona-Maßnahmen. "Unter dem Gesichtspunkt des Erhalts von Betrieben und Arbeitsplätzen sind die von Bund und Ländern vereinbarten Lockerungen zu zaghaft ausgefallen", sagte Mittelstandspräsident Mario Ohoven den Zeitungen der Funke Mediengruppe.
Viele Selbstständige seien von einer massiven Insolvenzwelle bedroht, sagte Ohoven. "Der Mittelstand erwartet, dass der Bund und die Länderregierungen spätestens bei ihren Beratungen in zwei Wochen einen umfassenden und konkreten Exit-Fahrplan vorlegen."
Skeptisch reagierte auch der Direktor des Instituts der deutschen Wirtschaft (IW), Michael Hüther. "Es ist das absolute Mindestmaß des Notwendigen", sagte Hüther am Mittwochabend dem Nachrichtenportal t-online.de. "Denn im Einzelhandel treffen wir oft auf Geschäftsmodelle mit kurzer Kapitaldecke und geringen Margen. Hier geht es um existentielle Fragen. Das gilt aber auch für Gastronomie und Hotels, wo kein Ende in Sicht ist."
(L. Andersson--BTZ)