Wirtschaftsforscher erwarten schwerwiegende Rezession - aber auch kräftige Erholung
Die führenden deutschen Wirtschaftsforschungsinstitute erwarten wegen der Coronavirus-Pandemie eine "schwerwiegende" Rezession in Deutschland in diesem Jahr - rechnen aber mit einer raschen und kräftigen Erholung. Die Ökonomen lobten den Schutzschild des Staates für Unternehmen und Beschäftigte; ein Konjunkturprogramm zur Ankurbelung der Nachfrage halten sie derzeit aber nicht für nötig. Eine Staatsschuldenkrise in Europa gelte es "auf jeden Fall" zu vermeiden.
Die fünf Institute rechnen in ihrem am Mittwoch vorgelegten Frühjahrsgutachten damit, dass die Wirtschaftsleistung aufs ganze Jahr gesehen um 4,2 Prozent schrumpfen und die Arbeitslosenquote in der Spitze 5,9 Prozent erreichen wird. Im kommenden Jahr werde die Wirtschaft sich aber erholen und das Bruttoinlandsprodukt (BIP) um 5,8 Prozent wachsen.
Die Wirtschaftsforscher unterstellen, dass der Shutdown in Deutschland nur fünf Wochen von Mitte März bis Mitte April dauert. Die Milliardenprogramme des Staates und das Kurzarbeitergeld wirken in ihren Annahmen so gut, dass langfristige Folgen vermieden werden - so rechnen die Forscher nicht mit einer massiven Pleitewelle oder gar Strukturbrüchen. "Die Unternehmen bleiben erhalten und bieten ihre Güter und Dienstleistungen nach dem Shutdown wieder an", sagte Timo Wollmershäuser vom Münchner Ifo-Institut.
Die Forscher verteidigten ihre "Punktprognose", die auf einem einzigen Szenario beruht. Es sei Aufgabe der Gemeinschaftsdiagnose, die öffentliche Hand bei ihren Planungen der öffentlichen Finanzen zu unterstützen, wie Oliver Holtemöller vom Institut für Wirtschaftsforschung Halle (IWH) sagte, "Auch in diesen Zeiten" seien die Zahlen des Gutachtens da eine "wichtige Zutat".
Es gebe natürlich große Unsicherheiten, "aber wir haben uns entschieden, das nur anzusprechen und nicht zu quantifizieren", sagte Holtemöller. Die Wirtschaftsweisen dagegen hatten vergangene Woche in ihrem Sondergutachten drei Szenarien untersucht und die Folgen beziffert.
Laut Frühjahrsgutachten dürfte das BIP bereits im ersten Quartal um 1,9 Prozent geschrumpft sein. Im zweiten Quartal rechnen die Institute in Folge des Shutdowns mit einem Minus von 9,8 Prozent - das wäre der stärkste seit Beginn der Vierteljahresrechnung im Jahr 1970 jemals gemessene Rückgang in Deutschland.
Diese schwerwiegende Rezession hinterlasse deutliche Spuren auf dem Arbeitsmarkt und im Staatshaushalt, sagte Wollmershäuser. Die Maßnahmen des Staates zur Abfederung der Folgen für Unternehmen und private Haushalte werden laut Gutachten zu einem "Rekorddefizit" von 159 Milliarden Euro beim Gesamtstaat führen. Der Bruttoschuldenstand des Staates werde 2020 auf 70 Prozent steigen.
Deutschland bringe aber gute Voraussetzungen mit, den wirtschaftlichen Einbruch zu verkraften und mittelfristig wieder das wirtschaftliche Niveau zu erreichen, das sich ohne die Krise ergeben hätte, erklärte Wollmershäuser weiter. Es sei richtig gewesen, dass die Politik "schnell und massiv" reagiert habe. Die Mittel könnten zudem "jederzeit" aufgestockt werden.
Stefan Kooths vom Institut für Weltwirtschaft Kiel mahnte, nach Überwindung der Epidemie nicht "drastisch" auf die Bremse zu treten und einen scharfen Sparkurs zu fahren. Holtemöller vom IWH sagte, 2021 werde es darum gehen, wie die Lasten verteilt werden: "Welche Gruppen tragen dazu bei, die Schulden wieder abzubauen?" Das sollten die Menschen sein, die derzeit wenig Einbußen hätten.
Die fünf führenden Wirtschaftsforschungsinstitute legen zwei Mal im Jahr ihre Gemeinschaftsdiagnose vor. Beteiligt sind neben Ifo, IWH und IfW das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) in Berlin und das RWI Leibniz-Institut für Wirtschaftsforschung in Essen. Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU) kündigte die Frühjahrsprognose der Regierung für den 29. April an. Er schloss Konjunkturhilfen nicht aus: "Nach Ostern werden wir auch darüber sprechen, wie wir unsere Wirtschaft wieder zum Wachstum anregen", sagte er.
(D. Fjodorow--BTZ)