Tarifverträge müssen nicht grundsätzlich für allgemeinverbindlich erklärt werden
Tarifverträge müssen nicht zwingend für allgemeinverbindlich erklärt werden. Aus dem Grundgesetz ergebe sich grundsätzlich kein Anspruch darauf, entschied das Bundesverfassungsgericht in einem am Mittwoch veröffentlichten Beschluss. Das höchste deutsche Gericht nahm deshalb die Verfassungsbeschwerden der Industriegewerkschaft Bauen-Agrar-Umwelt (IG BAU) und einer Sozialkasse der Baubranche nicht zur Entscheidung an. Sie hatten sich gegen einen Beschluss des Bundesarbeitsgerichts gewandt, mit dem Allgemeinverbindlichkeitserklärungen für unwirksam erklärt wurden. (Az. 1 BvR 4/17)
Tarifverträge können durch das Bundesarbeitsministerium für allgemeinverbindlich erklärt werden. In diesem Fall gelten die Regelungen nicht nur für die Vertragsparteien und ihre Mitglieder, sondern auch darüber hinaus in der entsprechenden Branche. Aus der durch Artikel neun des Grundgesetzes geschützten Tarifautonomie ergebe sich aber kein Recht darauf, dass ein Vertrag für allgemeinverbindlich erklärt werde, erklärte das Bundesverfassungsgericht.
Im konkreten Fall ging es um zwischen der IG BAU und den Arbeitgeberverbänden ausgehandelte Tarifverträge über Sozialkassen im Baugewerbe, die Leistungen im Bereich des Urlaubs, der Altersversorgung und der Berufsbildung erbringen sollen. Finanziert wird das System über Beiträge der Arbeitgeber. Grundsätzlich müssen sich zwar nur tarifgebundene Unternehmen beteiligen, aber die entsprechenden Tarifverträge wurden regelmäßig vom Bundesarbeitsministerium für allgemeinverbindlich erklärt.
Das Bundesarbeitsgericht entschied jedoch im September 2016, dass die Allgemeinverbindlichkeitserklärungen für die Jahre 2008 und 2010 unwirksam seien. Diese hätten den Voraussetzungen im damals geltenden Tarifvertragsgesetz nicht entsprochen.
Die Arbeitsrichter begründeten dies unter anderem damit, dass sich mit einer solchen Erklärung der zuständige Arbeitsminister oder zumindest ein Staatssekretär persönlich hätten befassen müssen. Zudem habe die Voraussetzung bestanden, dass die tarifgebundenen Arbeitgeber mindestens 50 Prozent der unter den Tarifvertrag fallenden Arbeitnehmer beschäftigen.
Gegen den Beschluss des Bundesarbeitsgerichts richteten sich die Verfassungsbeschwerden der IG BAU und einer Sozialkasse. Sie machten geltend, dass sie in ihren Rechten beschränkt worden seien. Das Bundesverfassungsgericht nahm die Klagen aber nicht zur Entscheidung an, weil sie keine Aussicht auf Erfolg hätten.
Die Gewerkschaft und die Sozialkasse hätten im Kern geltend gemacht, es bestehe ein "verfassungsunmittelbarer Anspruch" darauf, dass der betroffene Tarifvertrag durch das Bundesarbeitsministerium für allgemeinverbindlich erklärt werde. Das sei aber nicht der Fall, erklärte das Bundesverfassungsgericht. Artikel neun des Grundgesetzes enthalte kein Gebot, jede Zielsetzung der Tarifvertragsparteien "zum praktischen Erfolg zu verhelfen".
Das Bundesverfassungsgericht nahm auch weitere Verfassungsbeschwerden der Gewerkschaft sowie der Sozialkasse gegen Beschlüsse des Bundesarbeitsgerichts nicht zur Entscheidung an, mit denen weitere Allgemeinverbindlichkeitserklärungen für unwirksam erklärt worden waren.
(S. Sokolow--BTZ)