Wirtschaft hofft auf Ende der Brexit-Unsicherheit - Anleger erwarten "Boris-Boom"
"Der politische Nebel in London lichtet sich": Die deutsche Wirtschaft hat erleichtert auf das deutliche Ergebnis der britischen Parlamentswahl reagiert. Auch in Großbritannien hoffen Unternehmen und Anleger nach dem Triumph der konservativen Tories von Premierminister Boris Johnson ein Ende der Unsicherheit. Doch Klarheit gibt es noch längst nicht in allen Bereichen - ein mögliches Freihandelsabkommen mit der EU könnte sich hinziehen.
Der Wahlsieg der Tories, die nach der jahrelangen Hängepartie im britischen Parlament künftig die absolute Mehrheit der Abgeordneten stellen, beflügelte am Freitag die Aktienmärkte. Die Börse in London öffnete am Morgen zwar zunächst leicht im Minus, drehte dann aber bereits nach wenigen Minuten ins Plus. Auch an den anderen europäischen Börsen stiegen die Kurse. Die britische Währung hatte bereits in der Nacht kräftig zugelegt. Das Pfund übersprang erstmals seit Mai 2018 die Marke von 1,35 Dollar; der Anstieg war der stärkste binnen eines Jahrzehnts.
Analysten begründeten die Feierstimmung an der britischen Börse damit, dass nun die jahrelange Unsicherheit der Unternehmen signifikant zurückgehe. Für die Wirtschaft sei der Wahlausgang "das perfekte Ergebnis", kommentierte Analyst Neil Wilson von Markets.com. Zudem sei das "Corbyn-Risiko komplett zunichte gemacht" worden. Labour-Chef Jeremy Corbyn, der bei der Wahl mit seiner Partei in der Gunst der britischen Wähler regelrecht abgestürzt war, hatte im Wahlkampf unter anderem mit Verstaatlichungen geworben und damit viele marktliberale Wirtschaftsvertreter verschreckt.
Die Tories haben mit dem deutlichen Wahlsieg nun freie Bahn für einen EU-Austritt Großbritanniens zum 31. Januar. Der deutschen Wirtschaft stößt der Abschied des wichtigen Handelspartners aus der Europäischen Union nach wie vor bitter auf. "Kein Unternehmen in Deutschland möchte den Brexit", erklärte BDI-Hauptgeschäftsführer Joachim Lang. Dennoch begrüßte er, dass sich der "politische Nebel" an der Themse nun verziehe.
Offen ist immer noch, wie genau die künftigen Beziehungen zur EU aussehen. "Mit dem Austritt Großbritanniens beginnt zunächst die Übergangszeit, in der für Großbritannien zunächst alle Regeln des Binnenmarktes weitergelten und sich so nichts für die Wirtschaft ändert", erklärte Sebastian Dullien, wissenschaftlicher Direktor des Instituts für Makroökonomie und Konjunkturforschung (IMK) der Hans-Böckler-Stiftung. "In dieser Zeit muss Großbritannien ein neues Freihandelsabkommen mit der EU aushandeln."
"Jetzt müssen die EU und Großbritannien mit Hochdruck an einem Freihandelsabkommen arbeiten", forderte der Maschinenbauerverband VDMA. "Gelingt dies nicht, gehen die mit einem harten Brexit verbundenen Diskussionen und Unsicherheiten Ende 2020 wieder los". Sollte keine Einigung gelingen, "könnte es doch noch zu einem harten Brexit komme", warnte der Außenhandelsverband BGA. Ifo-Präsident Clemens Fuest schätzt es als schwierig ein, "innerhalb der Übergangsfrist bis Ende 2020 ein Freihandelsabkommen zu vereinbaren".
Zumindest kurzfristig sorgt der Sieg von Johnsons Tories aber für wirtschaftliche Klarheit. Nach der Wahl sei ein "Exit vom Brexit" nun nicht mehr möglich, erklärte Gabriel Felbermayr, Präsident des IfW Kiel - auch wenn weiter "maximal unsicher" sei, ob es "zu einem weichen oder harten oder smarten Deal mit der EU kommt".
Angekündigt hat Johnson unter anderem auch milliardenschwere Investitionen. Die Nettoinvestitionen des öffentlichen Sektors würden damit wieder "auf ein historisch hohes Niveau steigen", kommentierte Fondsmanager John Stopford von Investec AM. "Wir erwarten eine weitere Erholung des Pfunds und der britischen Inlandsaktien aufgrund der gesunkenen Unsicherheit und der Beseitigung des Risikos einer marktunfreundlichen Politik". Die Märkte würden einen kleinen "Boris-Boom" erwarten.
(F. Schulze--BTZ)