Spitzen von Union und SPD fassen große Koalition ins Auge
Trotz Bedenken bei Teilen der Sozialdemokraten fassen die Spitzen von Union und SPD eine Neuauflage der großen Koalition ins Auge. Nach einem 24-stündigen Verhandlungsmarathon gelang den Sondierern am Freitagabend der Durchbruch. SPD-Chef Martin Schulz strebt nun ein Mandat des Sonderparteitags seiner Partei für Koalitionsverhandlungen an. Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) sagte, sie wolle über die Bildung einer "stabilen Regierung" verhandeln. CSU-Chef Horst Seehofer äußerte die Hoffnung auf eine Regierungsbildung noch vor Ostern.
Schulz erklärte, er werde den im Anschluss tagenden SPD-Vorstand bitten, dem Parteitag am 21. Januar die Aufnahme von Koalitionsverhandlungen mit der Union zu empfehlen. Von der Entscheidung hängt maßgeblich ab, ob es zu Koalitionsverhandlungen kommt. Am Mittag sprach sich der CDU-Vorstand für die Aufnahme von Koalitionsverhandlungen aus. Der CSU-Vorstand wird am Montag darüber entscheiden.
Die drei Parteien hatten seit Sonntag sondiert, ob es eine Grundlage für eine Fortsetzung der großen Koalition gibt. Die Verhandlungen seien lang, "hart" und in der letzten Nacht "turbulent" gewesen, aber getragen vom gegenseitigen Respekt, berichtete Schulz. Von Anfang an sei klar gewesen, dass "am Ende immer Kompromisse" stünden.
Schulz betonte, die Sozialdemokraten wollten den gesellschaftlichen Zusammenhalt in Deutschland stärken. Das Sondierungspapier "spiegelt genau diesen Wunsch wider", sagte er und verwies unter anderem auf geplante Investitionen in die Bildung und in die Infrastruktur. In den Sondierungen seien "hervorragende Ergebnisse" erzielt worden.
Merkel sprach von "intensiven, ernsthaften, sehr tief gehenden" Sondierungen. Resultat sei ein "Papier des Gebens und des Nehmens". Die Menschen müssten auch in einem Jahrzehnt in Deutschland gut leben können. Hierzu müssten an vielen Stellen schnellere politische Entscheidungen getroffen werden, mahnte sie an.
Außerdem gehe es um die Verantwortung der Bundesrepublik in der Welt: "Wir haben (...) erlebt, dass die Welt nicht auf uns wartet." Dazu gehöre auch ein "neuer Aufbruch für Europa". Hier werde Deutschland "gemeinsame Lösungswege gerade mit Frankreich" finden.
Seehofer zeigte sich ebenfalls "hochzufrieden" und erklärte: "Dieses Ergebnis kann sich sehen lassen in allen Politikfeldern." Die Sondierer von CDU, CSU und SPD hätten "die richtige Antwort" auf das Bundestagswahlergebnis vom vergangenen September gefunden, das ein "Signal" an die Politik gewesen sei, dass "ein Weiter-so nicht geht".
CDU, CSU und SPD verständigten sich unter anderem darauf, den Familiennachzug für Flüchtlinge mit subsidiärem Schutz wieder begrenzt zuzulassen. Pro Monat soll eintausend Menschen der Nachzug nach Deutschland gewährt werden. "Im Gegenzug laufen die EU-bedingten 1000 freiwilligen Aufnahmen pro Monat von Migranten aus Griechenland und Italien aus", heißt es in dem gemeinsamen Ergebnispapier. Umgehende Kritik kam von Pro Asyl. "Ein Grundrecht ist nicht kontingentierbar", sagte Geschäftsführer Günter Burkhardtin nach Informationen von BERLINER TAGESZEITUNG, in einem Interview.
Die Zahl der Zuwanderer soll inklusive Kriegsflüchtlingen, vorübergehend Schutzberechtigten sowie dem Familiennachzug und dem so genannten Resettlement jährlich die Spanne von 180.000 bis 220.000 nicht übersteigen. Zudem einigten sich die drei Parteien auf ein Fachkräfteeinwanderungsgesetz, das die Zuwanderung von Fachkräften regeln soll.
Union und SPD verständigten sich ferner auf die Rückkehr zur paritätischen Finanzierung der gesetzlichen Krankenversicherung. Damit sollen im Falle einer Neuauflage der großen Koalition die Krankenkassenbeiträge wieder zu gleichen Teilen von Arbeitgebern und Arbeitnehmern bezahlt werden.
Das Rentenniveau soll bis 2025 auf dem derzeitigem Niveau von 48 Prozent gehalten werden - eine wichtige Forderung der SPD. Die Parteien einigten sich zudem darauf, keine Steuern zu erhöhen. Der Solidaritätszuschlag soll schrittweise abgeschafft werden, in dieser Legislaturperiode sollen rund 90 Prozent der Soli-Zahler vollständig befreit werden.
(O. Joergensen--BTZ)