Union und SPD wollen nationale Nutztierhaltungsstrategie einführen
Union und SPD wollen im Falle einer erneuten großen Koalition eine "nationale Nutztierhaltungsstrategie" einführen. Damit solle der Tier- und Umweltschutz genauso beachtet werden wie die Qualität bei der Produktion und Marktorientierung, heißt es in einem Papier der Sondierungsgruppe zu den Themen Landwirtschaft und Verbraucherschutz, BERLINER TAGESZEITUNG am Donnerstag vorlag. Dem wissenschaftlichen Beirat der Regierung zufolge kostet mehr Tierwohl jährlich drei bis fünf Milliarden Euro.
Verbraucher sollen dem Sondierungspapier zufolge zudem erkennen, welche Hersteller tierischer Lebensmittel über die gesetzlichen Vorgaben der Haltung hinausgehen. Dazu wollen Union und SPD ein Tierwohllabel einführen - angekündigt hatte das bereits das Bundeslandwirtschaftsministerium in der zu Ende gehenden Legislatur. "Der Mehraufwand muss honoriert werden." Die Parteien wollen zudem das Töten von Eintagsküken beenden.
Für den Tierschutz muss laut Wissenschaftlern aber mehr Geld als bislang ausgegeben werden: Mehr Tierwohl koste jährlich bis zu fünf Milliarden Euro, erklärte Harald Grethe, Vorsitzender des wissenschaflichen Beirats für Agrarpolitik des Landwirtschaftsministeriums. Bisher würden nur rund 200 Millionen Euro dafür ausgegeben. Grethe forderte eine Strategie zur Finanzierung und Steuerung - der Handlungsbedarf zur Verbesserung des Tierwohls in der Nutztierhaltung sei nach wie vor erheblich.
Ralf Kosch von Big Dutchman, einer Firma für Geflügelhaltungssysteme aus der tierreichsten Region Niedersachsen, zog außerdem ein Jahr nach der Einstellung des Schnabelkürzens bei Legehennen Bilanz: Die Verkaufszahlen würden sich gemessen am Entwicklungsaufwand auf "einem sehr niedrigen Niveau" bewegen, erklärte Kosch. Die Leistung der Tiere würde sich jedoch nicht verschlechtern.
In dem Sondierungspapier hielten CDU, CSU und SPD weiter fest, dass sie den Einsatz des umstrittenen Unkrautvernichtungsmittels Glyphosat "grundsätzlich" beenden wollen. "Wir werden mit einer systematischen Minderungsstrategie den Einsatz von glyphosathaltigen Pflanzenschutzmitteln deutlich einschränken", heißt es in dem Dokument, das jedoch nur ein Zwischenergebnis der Verhandlungen darstellte. Ziel sei es, "die Anwendung so schnell wie möglich grundsätzlich zu beenden".
Der Deutsche Bauernverband (DBV) und der Industrieverband Agrar (IVA) warnten, Landwirten müssten "auch zukünftig ausreichend biologische und chemische Pflanzenschutzmittel" zur Verfügung stehen. Die Bauern beschränkten den Einsatz von Pflanzenschutzmitteln auf das notwendige Maß, doch müssten sie unter mehreren Wirkstoffen auswählen können, um zielgerichtet Krankheiten und Schädlinge bekämpfen zu können, erklärte DBV-Präsident Joachim Rukwied.
Die Glyphosat-Diskussion habe "die Frage nach der Zukunft des Pflanzenschutzes überlagert", kritisierten Rukwied sowie der IVA-Präsident Helmut Schramm. Das Beispiel Glyphosat zeige, wie eine geschickt inszenierte Kampagne eine Politisierung der wissenschaftlichen Bewertung bewirke.
Wegen Glyphosat hatte es zwischen Union und SPD Ende November heftig gekracht. Bundeslandwirtschaftsminister Christian Schmidt (CSU) hatte trotz eines Einspruchs der ebenfalls zuständigen Bundesumweltministerin Barbara Hendricks (SPD) und entgegen Vorgaben des Kanzleramts auf EU-Ebene für die weitere Zulassung von Glyphosat gestimmt.
CDU, CSU und SPD hatten ihre Sondierungen am Sonntag begonnen, am Donnerstag stand die letzte Gesprächsrunde an. Im Anschluss wollten die drei Parteien über die Aufnahme von Koalitionsgesprächen entscheiden.
(B. Semjonow--BTZ)