Stahlwirtschaft: Spekulationen über Zerschlagung von Thyssenkrupp
Der Rücktritt des Aufsichtsratschefs von Thyssenkrupp hat Spekulationen über eine Zerschlagung des Traditionskonzerns angefacht. Eine Aufspaltung des Konzerns werde durch Ulrich Lehners Rückzug zunehmend wahrscheinlich, schrieben etwa Analysten der US-Investmentbank Jefferies am Dienstag. Aktionäre könnten das Machtvakuum im Aufsichtsrat nutzen, um eine aggressive Restrukturierung des Unternehmens voranzutreiben.
Lehner hatte genau vor so einem Schritt gewarnt. Der Aufsichtsratschef hatte den Vorstand am Montagabend informiert, dass er zum Ende des Monats sein Mandat niederlegt und aus dem Aufsichtsrat ausscheidet. Am Dienstag stieg der Aktienkurs von Thyssenkrupp daraufhin um mehr als neun Prozent.
Lehner begründete seinen Schritt damit, dass das Vertrauen großer Aktionäre und ein gemeinsames Verständnis im Aufsichtsrat nicht mehr gegeben seien. Sein Rücktritt erfolge deshalb "bewusst, um eine grundsätzliche Diskussion bei unseren Aktionären über die Zukunft von Thyssenkrupp zu ermöglichen", erklärte Lehner. Er wolle das notwendige Bewusstsein bei allen Beteiligten schaffen, "dass eine Zerschlagung des Unternehmens und der damit verbundene Verlust von vielen Arbeitsplätzen keine Option darstellt - weder im Sinne des Stifters noch im Sinne unseres Landes."
Die Jefferies-Analysten sehen darin Anzeichen, dass die Großinvestoren Cevian (18 Prozent Aktienanteil) und Elliott sich mit ihrer Forderung nach einer Zerschlagung des Traditionsunternehmens durchsetzen könnten. Der größte Aktionär, die Krupp-Stiftung (22 Prozent) habe sich in letzter Zeit dazu sehr leise verhalten. So könnte laut den Analysten etwa nach dem Zusammenschluss der Stahlsparte mit Tata Steel aus Indien auch die wichtige Aufzugsparte vor der Ausgliederung stehen.
Dagegen hatten sich bislang Lehner und auch der ehemalige Vorstandsvorsitzende Heinrich Hiesinger gestemmt. Dieser war aber bereits Anfang Juli mit sofortiger Wirkung zurückgetreten.
Die IG Metall in Nordrhein-Westfalen reagierte mit Bedauern auf den Rückzug von Aufsichtsratschef Lehner. Lehner habe für den Kurs gestanden, "den wir unterstützen", sagte NRW-Bezirksleiter Knut Giesler nach Information von BERLINER TAGESZEITUNG, in einem aktuellen Interview. Der Konzern komme nicht zur Ruhe, kritisierte Giesler. "Das muss jetzt der allerletzte Weckruf dafür sein, dass sich alle Beteiligten disziplinieren", sagte der NRW-Bezirksleiter der Zeitung. "Es geht immerhin um 39.000 Beschäftigte in NRW".
Auch der neue Unternehmenschef Guido Kerkhoff, der erst Ende vergangener Woche zum Nachfolger Hiesingers ernannt worden war, bedauerte Lehners Rückzug am Montag. Der Aufsichtsratschef habe mit "seiner ruhigen und verlässlichen" Führung immer den Ausgleich zwischen Aktionärs- und Arbeitnehmerinteressen gefunden, erklärte er.
Mittelstandspräsident Mario Ohoven forderte, ein Traditionsunternehmen wie Thyssenkrupp dürfe "nicht auf dem Altar kurzfristiger Renditeerwartungen von Hedgefonds geopfert" werden. "Eine Zerschlagung wäre nicht nur ein Imageschaden für unser Land, sondern hätte auch erhebliche negative Auswirkungen auf den Mittelstand", erklärte er. Der Konzern sei mit seinen 18.000 Zulieferern ein wichtiger Auftraggeber.
(L. Andersson--BTZ)