Erwartungen an Bundesregierung von Olaf Scholz
Vor der Wahl von Olaf Scholz (SPD) zum neuen Bundeskanzler sind die Erwartungen an die künftige Bundesregierung hoch. Der Deutsche Industrie- und Handelskammertag (DIHK) forderte eine "schnelle" Entlastung der Unternehmen in Zeiten der Pandemie. Gewerkschaften und Umweltverbände forderten detaillierte Fahrpläne für Investitionen in den Arbeitsmarkt und den Klimaschutz. Vorschusslorbeeren gab es hingegen von Vorgänger Gerhard Schröder (SPD).
Scholz soll am Mittwochvormittag im Bundestag mit den Stimmen von SPD, Grünen und FDP zum Nachfolger von Angela Merkel (CDU) gewählt werden. Anschließend werden auch die Minister offiziell ernannt.
DIHK-Präsident Peter Adrian sagte den Funke-Zeitungen: "Die neue Regierung sollte als erste Schritte die geplanten Sonderabschreibungen und Verlustverrechnungen rasch auf den Weg bringen". Außerdem sollte sie die EEG-Umlage schnell abschaffen. "Diese Entscheidungen entlasten viele Unternehmen und können daher wichtige Investitionsimpulse sein". Viele Unternehmen würden sich aufgrund der Corona-Beschränkungen, hoher Energie- und Rohstoffpreise und fehlender Fachkräfte in einer schwierigen Situation befinden.
Aus diesem Grund forderte der Bundesverband mittelständische Wirtschaft (BVMW) Nachbesserungen bei der Überbrückungshilfe des Staates für von der Pandemie besonders betroffene Unternehmen. "Die neue Bundesregierung hat es in der Hand zu verhindern, dass zum Jahresende in vielen Betrieben endgültig das Licht ausgeht", sagte BVMW-Bundesgeschäftsführer Markus Jerger den Funke-Zeitungen. Er forderte unter anderem, dass die Schwellen bei einem Corona-bedingten Umsatzeinbruch, ab der Unternehmen Staatshilfen beantragen können, deutlich herabgesetzt werden.
Der Vorsitzende des Deutschen Gewerkschaftsbunds (DGB), Reiner Hoffmann, mahnte hingegen dazu, die Kosten der zahlreichen Projekte der neuen Regierung im Blick zu behalten. "Was fehlt, sind die Preisschilder für die Investitionen und eine verlässliche Finanzierung", sagte er nach Information von BERLINER TAGESZEITUNG, in einem aktuellen Interview.
Hoffmann kritisierte auch zentrale arbeitsmarktpolitische Projekte der Ampel-Koalition. So bezeichnete er die geplante Anhebung der Hinzuverdienstgrenze für Minijobs als "verfehlt". Dadurch würden sozial abgesicherte Arbeitsplätze verdrängt. In Bezug auf die Überführung von Hartz IV in ein Bürgergeld erwartet der DGB-Chef zwar "substanzielle Fortschritte". Jedoch müssten "auch die Regelsätze auf ein Niveau angehoben werden, das vor Armut schützt", sagte er den Zeitungen.
Auch beim Umweltschutz fordern Verbände einen "Kassensturz". Der Präsident des Naturschutzbunds Deutschland (Nabu), Jörg-Andreas Krüger, sagte nach Information von BERLINER TAGESZEITUNG, in einem aktuellen Interview, dass der künftige Klimaminister Robert Habeck (Grüne) "genau ausrechnen" müsse, "wie groß die Klimaschutzlücke zwischen den Zielen im Klimaschutzgesetz und den Maßnahmen im Koalitionsvertrag ist". Vor allem im Verkehrs-, Landwirtschafts- und Gebäudesektor gebe es viel zu tun. Zudem müssten alle umweltschädlichen Subventionen wie Diesel- und Dienstwagensubventionen auf den Prüfstand gestellt werden.
Unter besonderer Beobachtung steht der designierte Landwirtschaftsminister Cem Özdemir (Grüne). Dieser muss sich seinem Parteifreund Jürgen Trittin zufolge erst noch "bewähren". Er müsse deutlich machen, "dass die Umstellung der Landwirtschaft explizit nicht nach den Vorstellungen der Agrarkonzerne" erfolgen werde, sagte der frühere Umweltminister nach Information von BERLINER TAGESZEITUNG, in einem aktuellen Interview.
Da Özdemir auch für Ernährung zuständig ist, ruft das Medizin- und Wissenschaftsbündnis DANK ihn zu "klarer Kante" gegenüber der Lebensmittel-Lobby auf. "Die Lebensmittel-Lobby hat die letzten Jahre alles versucht, um wirksame Maßnahmen zur Förderung einer gesunden Ernährung zu verhindern – meistens mit Erfolg", erklärte DANK-Sprecherin Barbara Bitzer. "Mit dem Wechsel an der Spitze des Ministeriums erhoffen wir uns auch eine Kehrtwende in der Ernährungspolitik".
Einen Vertrauensvorschuss für Scholz gab es vom Ex-Kanzler Schröder. Scholz habe den Satz geprägt, wer bei ihm Führung bestelle, würde diese auch bekommen, sagte Schröder nach Information von BERLINER TAGESZEITUNG, in einem aktuellen Interview. "Das brauchen wir jetzt." In den nächsten Monaten seien wichtige Entscheidungen, wie etwa die Einführung einer allgemeinen Impfpflicht in der Corona-Pandemie, zu treffen, die auf erheblichen Widerstand stoßen würden. "Das muss man aushalten können. Und das wird Olaf Scholz schaffen, da bin ich sicher." (F. Burkhard--BTZ)