Brüssel sieht Berlin bei Industriestrompreis am Zug
In der Debatte um verbilligten Strom für energieintensive deutsche Industriezweige hat die EU-Kommission den Ball an die Bundesregierung zurückgespielt. Ein Kommissionssprecher betonte am Donnerstag in Brüssel, die Behörde von Ursula von der Leyen sei grundsätzlich bereit, den sogenannten Industriestrompreis zu prüfen. Solange die Sache in Deutschland aber nicht entschieden sei, könne sich die Kommission nicht dazu äußern.
Die 16 Regierungschefs der Bundesländer hatten am Mittwochabend in Brüssel bei einem Treffen mit von der Leyen für den Industriestrompreis geworben. Die Kommissionschefin hielt sich aber bedeckt. Die EU-Kommission erlaubt solche Subventionen in der Regel nur unter strengen Auflagen.
In der Bundesregierung ist das Instrument umstritten: Während Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) damit die Industrie entlasten will, äußerte sich Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) zuletzt ablehnend. Die FDP lehnt den Vorstoß als zu teuer und unnötig ab.
Die Länderchefs und -chefinnen sind unabhängig von ihrer Parteiangehörigkeit dafür. Sie verabschiedeten am Donnerstag eine "Brüsseler Erklärung", in der es heißt, den EU-Ländern müsste es "für einen Übergangszeitraum möglich sein, einen wettbewerbsfähigen Brückenstrompreis vor allem für energieintensive und im internationalen Wettbewerb stehende Unternehmen zu etablieren, bis bezahlbare erneuerbare Energien in hinreichendem Umfang zur Verfügung stehen".
Habeck fühlt sich dadurch bestätigt: "Ich freue mich über die Unterstützung gerade von Unionsministerpräsidenten bei dem Industriestrompreis", sagte er im Bundestag. Die CDU-Ministerpräsidenten von Nordrhein-Westfalen und Schleswig-Holstein, Hendrik Wüst und Daniel Günther, hatten zuvor erneut auf eine Einigung der Bundesregierung bei dem Thema gepocht.
"Gerade für größere energieintensive Unternehmen ist der Preis schlicht und ergreifend zu hoch", sagte Günther. Als Übergangslösung müsse der Strompreis schnell gesenkt werden. Letzteres wäre ohne Brüsseler Zustimmung möglich, wie EU-Kommissionssprecher Daniel Ferrie betonte.
Auch aus SPD-Reihen werden die Rufe nach einem Industriestrompreis indes lauter. Er sei "von zentraler Bedeutung, um den Fortbestand guter Arbeitsplätze in Europa zu sichern", erklärte der Vorsitzende der SPD-Gruppe im Europaparlament, Jens Geier. "Die energieintensive Industrie ist ein entscheidender Treiber CO2-armer Produktion und ein Garant für den Wohlstand in der Europäischen Union."
In der Wirtschaft ist das Vorhaben allerdings umstritten. Manche Ökonomen raten, energieintensive Industriezweige lieber abwandern zu lassen als sie künstlich im Land zu halten. Der Verband Deutscher Maschinen- und Anlagenbau (VDMA) erklärte, der Industriestrompreis konterkariere "einen europäischen Ansatz, globale Probleme wie zum Beispiel die hohen Energiekosten gemeinsam anzugehen". Auch drohe "eine solche Subvention den europäischen Binnenmarkt zu verzerren", betonte VDMA-Hauptgeschäftsführer Thilo Brodtmann.
Die Ministerpräsidenten der Länder riefen die EU-Kommission darüber hinaus zu mehr Realismus beim Klimaschutz auf. Der Übergang zu einer klimaneutralen Wirtschaft müsse "gemeinsam mit der Industrie vorangebracht werden", hieß es in ihrer Brüsseler Erklärung.
Weiteres Schwerpunktthema der Beratungen war die Migration. Der niedersächsische Regierungschef Stephan Weil (SPD) als amtierender Vorsitzender der Ministerpräsidentenkonferenz rügte die "Kakophonie" in Europa und rief zu einem zügigen Asylkompromiss auf.
"Wir werden in Deutschland in diesem Jahr auf Zugangszahlen hinauslaufen, die die zweithöchsten nach 2015 sind", sagte Weil in Brüssel. Angesichts der angespannten Wohnungsmärkte hätten die Kommunen in allen 16 Ländern "erhebliche Probleme", Asylbewerber angemessen unterzubringen.
U. Schmidt--BTZ