Wirecard schockiert Börse mit möglichem Betrugsfall rund um Treuhandkonten
Der Finanzdienstleister Wirecard hat die Börse mit Unklarheiten über den Verbleib von 1,9 Milliarden Euro und einer damit zusammenhängenden erneuten Verschiebung seines Jahresabschlusses geschockt. Nach Bekanntgabe der neuen Entwicklungen brach der Aktienkurs des im deutschen Leitindex Dax gelisteten Unternehmens am Donnerstag dramatisch ein. Vorstandschef Markus Braun erklärte, es sei unklar, "ob betrügerische Vorgänge zum Nachteil der Wirecard AG vorliegen".
Sein Unternehmen werde Anzeige gegen unbekannt stellen, kündigte Braun am Unternehmenssitz im bayerischen Aschheim bei München an. Wirecard war nach eigenen Angaben zuvor von den Abschlussprüfern darauf hingewiesen worden, dass für die Existenz von Bankguthaben über 1,9 Milliarden Euro auf Treuhandkonten bei zwei asiatischen Banken keine ausreichenden Nachweise vorlägen. Die Abschlussprüfer sahen sich außerstande, ein Testat ohne weitere Überprüfungen zu erteilen.
Die Summe entspricht laut Unternehmen in etwa einem Viertel der Konzernbilanzsumme und war von Tochtergesellschaften als Garantie für das Risikomanagement von Händlern hinterlegt worden, für die Wirecard Zahlungen abwickelt. Die beiden kontenführenden Banken hätten mitgeteilt, dass "die betreffenden Kontonummern nicht zugeordnet werden konnten", hieß es. Es gebe Hinweise, dass ein Treuhänder "zu Täuschungszwecken" falsche Bestätigungen vorlegt habe, um ein falsches "Vorstellungsbild" der Guthaben zu geben.
An der Börse in Frankfurt am Main brach die Aktie von Wirecard am Donnerstag zeitweise um fast 70 Prozent ein, Aktionärsschützer reagierten entsetzt. Die Schutzgemeinschaft der Kapitalanleger (SdK) kündigte an, Schadenersatzansprüche von Aktionären wegen möglicher Pflichtverletzungen zu prüfen und gegebenenfalls zu bündeln. Es war bereits das vierte Mal, dass Wirecard die Vorlage seines eigentlich für April angekündigten Abschlusses verschob.
Nach eigenen Angaben könnte die neuerliche Verschiebung für das Unternehmen, das seit Monaten wegen seiner Bilanzen nicht zur Ruhe kommt, außerdem weitere schwerwiegende finanzielle Folgen haben. Wenn bis zum Freitag kein Jahres- und Konzernabschluss vorgelegt werde, könnten Banken Kredite in Höhe von etwa zwei Milliarden Euro kündigen, teilte Wirecard am Donnerstag mit. Einen neuen Termin für den Jahresabschluss wurde nicht genannt.
Darüber hinaus erklärte die deutsche Finanzaufsichtsbehörde Bafin, die neuen Entwicklungen in ihre ohnehin bereits eingeleiteten Untersuchungen wegen möglicher Marktmanipulation gegen Wirecard einfließen zu lassen. Vor dem Hintergrund des wiederholt verschobenen Jahresabschlusses hatte die Bafin das Unternehmens deshalb Anfang Juni angezeigt. Daraufhin war auch der Firmensitz von der Staatsanwaltschaft durchsucht worden.
Wirecard stand seit seiner Gründung 1999 immer wieder im Zentrum von Aktienspekulationen. Im vorigen Jahr schrieb die britische "Financial Times" wiederholt über angeblich vorgetäuschte Umsätze und gefälschte Verträge bei Wirecard in Singapur. Wirecard wies die Anschuldigungen stets als verleumderisch zurück. Wegen der Berichte ging die Aktie des Dienstleisters auf Achterbahnfahrt.
Die Initiative Minderheitenaktionäre sprach am Donnerstag von einem "unternehmerischen Offenbarungseid" und forderte den Rücktritt von Unternehmenschef Braun. Derzeit erfülle das Unternehmen "nicht die Voraussetzung für eine vertrauensvolle Kapitalanlage".
(H. Müller--BTZ)