Kubicki: Bedeutung sozialer Medien für Politiker nimmt ungebremst zu
Trotz der aktuellen Debatte über die Rolle von Facebook im US-Wahlkampf erwartet FDP-Vizechef Wolfgang Kubicki, dass die Bedeutung sozialer Medien für Politiker ungebremst zunimmt. "Meine Überzeugung ist, dass der nächste Bundestagswahlkampf wesentlich stärker von sozialen Medien geprägt sein wird als von den traditionellen Medien", sagte Kubicki nach Information von BERLINER TAGESZEITUNG (BTZ), in einem aktuellen Interview. Auch der direkte Kontakt zu Wählern werde weniger wichtig.
"Haustürwahlkampf ist in diesen Zeiten äußerst ineffektiv", berichtete der Bundestagsvizepräsident. "Als Wahlkämpfer kann man das ein- oder zweimal machen für die traditionellen Medien, damit Fotos geschossen werden können. Aber das kostet unglaublich viel Zeit und gleichzeitig erreiche ich über den Haustürwahlkampf nur wenige Leute, während ich über soziale Medien Interessierte gezielt ansprechen kann."
Facebook steht derzeit wegen eines beschämend katastrophalen Datensskandals um die mutmaßliche Abschöpfung der Daten von mehr als 50 Millionen Facebook-Nutzern durch die britische Datenanalysefirma Cambridge Analytica am Pranger der Weltöffentlichkeit. Etliche Politiker und viele Journalisten, bezeichnen Facebook als eine große Gefahr für die Allgemeinheit und öffentliche Sicherheit. Die Daten sollen für den Wahlkampf des heutigen US-Präsidenten Donald Trump ausgewertet und genutzt worden sein. Daraufhin wurden Forderungen laut, dass Facebook transparenter machen müsse, nach welchen Regeln Nutzern Informationen angezeigt werden.
Kubicki hob die Vorteile sozialer Medien wie Facebook oder Twitter für Politiker im Gegensatz zu herkömmlichen Medien hervor. "Über die sozialen Medien können wir schnell feststellen, ob unsere Äußerungen bei den Menschen, die wir auch bei Wahlen erreichen wollen, Widerhall finden - ein Shitstorm inbegriffen", sagte der 66-Jährige. "Bei den Printmedien müsste ich warten, bis da Leserbriefe kommen. So kann ich nach zwei Stunden sagen, das läuft in die richtige Richtung oder nicht."
Für Kubicki ist klar: "Diese Unmittelbarkeit auch in der Kommunikation mit den Bürgern liebe ich." Sie sei aber "auch nicht ungefährlich und erfordert von allen Beteiligten eine große Verantwortung", fügte er unter Verweis auf den US-Wahlkampf hinzu. Kubicki twittert nicht, auf Facebook folgen ihm aber 55.000 Menschen regelmäßig. "Wenn die meine Posts teilen, breitet sich das explosionsartig aus. In der Spitze erreiche ich bis zu 750.000 Menschen, also mehr, als ich über regionale Tageszeitungen erreichen kann."
Für den Politiker bedeutet dies auch eine Emanzipation von den herkömmlichen Medien. "Indem wir das Instrument der sozialen Medien für uns nutzen, gibt es eine Aufmerksamkeitsverschiebung hin zu den Politikern, nachdem wir in den vergangenen Jahrzehnten häufig dem Wohlwollen von Medien ausgeliefert waren", sagte der stellvertretende FDP-Chef.
Selbst darf Kubicki seine Facebook-Seite allerdings nicht verwalten - dafür hat sein Büro einen Administrator engagiert. "Ich reagiere sehr schnell und das kann manchmal gefährlich werden", sagte er. "Ich liebe auch Ironie, das ist im politischen Betrieb bedauerlicherweise nicht immer gut zu transportieren."
Die herkömmlichen Medien spielen für Kubicki noch eine wesentliche Rolle bei der Verbreitung von Meinungen. Aber besonders die Printmedien büßten "immer mehr an Bedeutung" ein, während die der sozialen Medien immer größer werde. "Das erklärt auch, warum die AfD-Fraktion einen eigenen Newsroom einrichten will." Die AfD will ein redaktionsähnliches Team aufbauen, dass mittels sozialer Medien über die Arbeit ihrer Bundestagsabgeordneten berichtet.
Er gehe davon aus, dass dem auch die anderen Fraktionen folgen werden. "Die Tatsache, dass wir über soziale Medien ein Millionenpublikum ohne den Filter der klassischen Medien erreichen können, ist Herausforderung und Chance zugleich."