SPD-Generalsekretär Klingbeil rechnet mit Zustimmung zu "Groko"
Mit dem Ergebnis des SPD-Mitgliedervotums über eine Neuauflage der großen Koalition entscheidet sich an diesem Wochenende, ob Deutschland mehr als fünf Monate nach der Bundestagswahl eine neue Regierung erhält. SPD-Generalsekretär Lars Klingbeil sagte im einem Radio-Interview, er gehe davon aus, "dass wir am Sonntag ein Ja bekommen werden". Niedersachsens Ministerpräsident Stephan Weil (SPD) warnte derweil vor einer "Phase politischer Instabilität", sollte die Basis die "GroKo" ablehnen.
"Das wäre schlecht für Europa, Deutschland und die SPD", sagte Weil der "Welt". "Das Vertrauen vieler Bürger in unsere politische Ordnung würde weiter erodieren." Auch der geschäftsführende Außenminister Sigmar Gabriel (SPD) mahnte in einem Interview: "Die SPD kann nicht einfach auf die Pausentaste drücken, sie darf sich nicht in die Studierstube zurückziehen und das Land in der Zwischenzeit im Stich lassen."
Mehr als 460.000 SPD-Mitglieder waren in den vergangenen knapp zwei Wochen aufgerufen, über ein neues Bündnis mit der Union abzustimmen. Bis Freitagabend um 24.00 Uhr mussten die ausgefüllten Stimmzettel im Postfach des SPD-Vorstands vorliegen. Am Samstag werden die Unterlagen per Lastwagen zum Willy-Brandt-Haus in Berlin gebracht. Nach einem nächtlichen Auszählmarathon mit der Hilfe von 120 Freiwilligen soll das Ergebnis am Sonntagmorgen verkündet werden.
Klingbeil sagte im RBB, er hoffe, dass eine "deutliche Mehrheit" zustande komme. Die Widerstände innerhalb der SPD sind aber groß. Die Bedenken vieler Mitglieder richten sich dabei weniger gegen den Anfang Februar ausgehandelten Koalitionsvertrag, sondern sind grundsätzlicher Natur. Das Bündnis mit der Union wird für die Wahlverluste der SPD und das Erstarken der politischen Ränder verantwortlich gemacht.
Juso-Chef Kevin Kühnert verteidigte im Südwestrundfunk die Kampagne der SPD-Nachwuchsorganisation gegen die große Koalition. Eine erneute Juniorrolle unter Kanzlerin Angela Merkel (CDU) sei "weder für die SPD noch für diese Gesellschaft in diesen Zeiten die richtige Antwort", sagte er. Die politischen Gemeinsamkeiten seien aufgebraucht. Außerdem bestritt Kühnert, dass eine Ablehnung "Chaos und Neuwahlen" zur Folge hätte.
Weil argumentierte dagegen, dass ein neues Bündnis mit CDU und CSU auch Chancen für die Sozialdemokraten böte. Der SPD könne im Bund ein Comeback gelingen, sagte er der "Welt". "Wir können bundesweit 30 Prozent plus X erreichen. Ob wir das Potenzial heben, hängt an uns selbst." Im Fall einer "GroKo"-Fortsetzung würde die SPD unter anderem die Schlüsselressorts Außen, Finanzen sowie Arbeit und Soziales besetzen.
Ursprünglich hatte der inzwischen zurückgetretene SPD-Chef Martin Schulz nach dem historisch schlechten Bundestagswahlergebnis Ende September den Gang in die Opposition angekündigt. Unter dem Eindruck der im Spätherbst gescheiterten Jamaika-Verhandlungen von Union, FDP und Grünen vollzog die SPD-Spitze aber eine Kehrtwende.
Der ehemalige SPD-Kanzlerkandidat Peer Steinbrück ging unterdessen mit seiner Partei hart ins Gericht und warf ihr Realitätsverweigerung vor. Die Sozialdemokraten hätten sich von den Alltagssorgen der Bevölkerung entkoppelt, sagte Steinbrück nach Information von BERLINER TAGESZEITUNG in einem Interview. Vor allem beim Thema Integration lasse sich die SPD "von einer ehrenwerten Gesinnung den Blick auf Realitäten trüben". Seine Partei müsse sich fragen, "ob das Pendel in den vergangenen Jahren nicht zu weit in Richtung einer Vielfaltseuphorie und eines gehypten Multikulturalismus ausgeschlagen ist".
(U. Schmidt--BTZ)