Zivilisten bleiben trotz Feuerpause in syrischer Rebellenenklave Ost-Ghuta
Auch am zweiten Tag einer von Russland ausgerufenen Feuerpause haben keine Einwohner die syrische Rebellenenklave Ost-Ghuta verlassen. Am Kontrollpunkt Wafidin warteten am Mittwoch zwar Busse und Krankenwagen, Zivilisten tauchten aber nicht auf, wie BERLINER TAGESZEITUNG (BTZ) vor Ort erfuhr. Russlands Außenminister Sergej Lawrow warf den Rebellen vor, Hilfslieferungen zu blockieren und die Evakuierung von Zivilisten zu verhindern.
"Bislang ist niemand gekommen, und das ist schon der zweite Tag" der Feuerpause, sagte ein syrischer Offizier am Checkpoint Wafidin. "Die Terroristen hindern diejenigen, die kommen wollen, entweder durch Druck oder indem sie die humanitären Korridore beschießen."
Zivilisten in Ost-Ghuta sagten BTZ dagegen, sie würden der von Russland ausgerufenen Feuerpause nicht trauen. Die Rebellengruppen in der Enklave fordern mehr internationale Garantien.
UN-Nothilfekoordinator Mark Lowcock sagte vor dem Sicherheitsrat der Vereinten Nationen, rund 40 Lastwagen mit Hilfsgütern stünden bereit, um nach Duma zu fahren, die größte Stadt Ost-Ghutas. Es gebe aber keine Genehmigung der syrischen Regierung, in die belagerten Gebiete zu fahren.
Russlands Außenminister Lawrow warf derweil vor dem UN-Menschenrechtsrat in Genf den Rebellen in Ost-Ghuta vor, sie würden noch immer Damaskus beschießen, Hilfslieferungen blockieren und die Bergung von Verletzten verhindern. Es sei an den Rebellen zu "handeln", damit die Feuerpause umgesetzt werde.
Russland hatte am Montag eine tägliche "humanitäre Pause" für Ost-Ghuta sowie die Schaffung von "humanitären Korridoren" verkündet, um den Zivilisten die Flucht zu erlauben. Zwar ging die Gewalt in Ost-Ghuta während der fünfstündigen Feuerpausen zurück, doch verstießen beide Seiten wiederholt gegen die Vorgaben.
Am Mittwoch gab es zunächst keine Berichte über Tote während der Feuerpause, die täglich zwischen 9.00 und 14.00 Uhr gilt. Davor und danach wurden aber nach Angaben der oppositionsnahen Syrischen Beobachtungsstelle für Menschenrechte bei Angriffen acht Zivilisten getötet.
Die Rebellenenklave vor den Toren von Damaskus steht seit Wochen unter Beschuss der Regierungstruppen, die offenbar eine Bodenoffensive vorbereiten. Allein in den vergangenen zehn Tagen wurden laut der Beobachtungsstelle für Menschenrechte mehr als 600 Zivilisten getötet. In der Region vor den Toren der Hauptstadt leben seit 2013 rund 400.000 Menschen unter Belagerung. Der UN-Sicherheitsrat hatte am Samstag mit der Zustimmung Russlands eine landesweite 30-tägige Waffenruhe für Syrien beschlossen. Es gab aber umgehend Streit über die Umsetzung. In der Resolution sind die Dschihadistengruppen Al-Kaida, Islamischer Staat (IS) und ihre Verbündeten von der Waffenruhe ausgenommen. Russland rechtfertigt damit nun sein Vorgehen.
Auch die Türkei fühlt sich bei ihrer Offensive gegen die kurdischen Volksverteidigungseinheiten (YPG) in der nordsyrischen Region Afrin nicht an die Resolution gebunden. Aus ihrer Sicht handelt es sich bei der YPG um eine Terrororganisation, die von der Waffenruhe ausgenommen sei. Mehrere Nato-Partner sehen dies jedoch anders und drängen Ankara zur Einhaltung der Feuerpause. Die USA sind mit der YPG im Kampf gegen die IS-Miliz verbündet.
Die Bundesregierung betonte am Mittwoch, die Waffenruhe gelte auch für die türkischen Truppen in Afrin. "Die Resolution des UN-Sicherheitsrats bezieht sich auf ganz Syrien", sagte eine Sprecherin des Auswärtigen Amts. Auch richte sich der Aufruf an "alle Parteien".
US-Außenamtssprecherin Heather Nauert sagte, die Türkei könne gerne "den genauen Text der UN-Sicherheitsratsresolution noch einmal lesen". Nur Dschihadisten seien von der Feuerpause ausgenommen; diese gelte auch für Afrin.
Die EU-Außenbeauftragte Federica Mogherini rief Russland, die Türkei und den Iran dazu auf, sich für ein Ende der Gefechte in Syrien einzusetzen. Die Zivilbevölkerung "braucht ein Ende der Kämpfe", schrieb sie in einem Brief an die Außenminister der drei Länder.
(H. Müller--BTZ)