Gipfel gibt Startschuss für Debatte über EU-Finanzen nach dem Brexit
Die Staats- und Regierungschefs der EU haben mit ihrem Gipfel am Freitag den Startschuss für die schwierige Debatte über die Finanzierung der Union nach dem Brexit gegeben. Die Forderung von Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU), EU-Gelder künftig an die Flüchtlingsaufnahme zu knüpfen, stieß dabei auf ein geteiltes Echo. Weitgehend einig waren sich die EU-Chefs dabei, sich bei der Wahl des künftigen Kommissionspräsidenten das letzte Wort vorzubehalten.
Der italienische EU-Parlamentspräsident Antonio Tajani bezeichnete Merkels Vorstoß als "gute Idee". Die EU-Regeln forderten Solidarität der Mitgliedstaaten, sagte er. "Wenn man die Regeln nicht beachten will, muss man etwas zahlen."
Merkel hatte am Donnerstag im Bundestag gefordert, bei der Vergabe von EU-Geldern "künftig auch das Engagement vieler Regionen und Kommunen bei der Aufnahme und Integration von Migranten" zu berücksichtigen. Eine solche Vorgabe könnte zu Lasten osteuropäischer Staaten gehen, welche die Teilnahme an EU-Programmen zur Umverteilung von Flüchtlingen aus Hauptankunftsländern wie Italien und Griechenland verweigern.
Die Staats- und Regierungschefs sprachen am Freitag in Brüssel erstmals über die EU-Finanzierung im nächsten Jahrzehnt. Laut EU-Kommission werden durch den EU-Austritt Großbritanniens dann pro Jahr zwölf bis 14 Milliarden Euro im Haushalt fehlen.
Hinzu kommt ein erhöhter Finanzbedarf durch neue Aufgaben bei Verteidigung, Grenzsicherung, Migration oder im Kampf gegen Terror. Die Finanzierungsdebatte darüber dürfte noch Monate in Anspruch nehmen.
Kritisch zu Merkels Vorstoß äußerte sich beispielsweise Litauens Präsidentin Dalia Grybauskaite: Die Mittel aus den Strukturfonds seien laut EU-Vertrag für die Angleichung der Lebensverhältnisse in der Union bestimmt, "und nicht für irgendetwas anderes".
Auch Luxemburgs Regierungschef Xavier Bettel sah Merkels Vorstoß kritisch: Denn durch Kürzungen würden "nicht die Regierungen, sondern die Bürger" bestraft.
Österreichs Kanzler Sebastian Kurz sagte, er könne zwar nachvollziehen, dass es "gewisse" Bedingungen geben solle. "Ich würde nur bitten, nicht ständig auf Flüchtlinge zu fokussieren. Denn Solidarität ist weit mehr als nur die Aufnahme von Flüchtlingen".
Polen hatte zuvor schon seine Ablehnung geäußert. "Wer immer ein solches politische Manöver plant, dem kann ich nur sagen: Das wäre ein Fehler", sagte der polnische Europaminister Konrad Szymanski der Zeitung "Welt" (Freitagsausgabe). Warschau werde "niemals zulassen", dass seine "Kompetenzen im Bereich der Außengrenzenkontrolle und Migration ausgehebelt werden".
Polens Regierungschef Mateusz Morawiecki gab sich in Brüssel zurückhaltend und ging auf die Debatte nicht ein. Polen ist demnach zu einem "guten, gesunden Kompromiss" bereit.
Dänemarks Regierungschef Lars Lökke Rasmussen plädierte unterdessen dafür, die Vergabe von EU-Mitteln an die Einhaltung rechtsstaatlicher Prinzipien zu knüpfen. Dies unterstützt auch Deutschland in der Haushaltsdebatte.
Ein solches Vorgehen könnte gleichfalls insbesondere osteuropäische Länder wie Polen treffen, das von Brüssel wegen einer umstrittenen Justizreform kritisiert wird.
Er wolle "keine neue Spaltung" zwischen Ost und West in Europa, sagte EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker. "Davon haben wir genug." Demnach prüft die Kommission Bedingungen für die Auszahlung von EU-Mitteln aber noch.
Juncker forderte die Staats- und Regierungschefs unterdessen auf, auch nach der nächsten Europawahl einen "Spitzenkandidaten" der antretenden Parteien zum Kommissionspräsidenten zu bestimmen. Dies war 2014 im Falle Junckers erstmals geschehen. "Winzige" Fortschritte bei der Demokratie in Europa dürften jetzt nicht rückgängig gemacht werden, sagte der Luxemburger.
Die Parteien im Europa-Parlament haben sich bereits darauf festgelegt, wieder Spitzenkandidaten aufzustellen. Sie fordern, dass einer dieser Kandidaten auch Kommissionspräsident wird.
Österreichs Kanzler Kurz unterstützte das "Spitzenkandidaten"-Modell. Einen "Automatismus" bei der Bestimmung des Kommissionschefs könne es aber nicht geben. "Wir sind nicht für dieses System", sagte der niederländische Ministerpräsident Mark Rutte. Es würde demnach zudem eine Änderung des EU-Vertrags bedeuten.
(L. Solowjow--BTZ)