Stiller Protest in Damaskus: Angehörige fordern Aufklärung zum Schicksal ihrer Lieben
Knapp drei Wochen nach dem Sturz des syrischen Machthabers Baschar al-Assad haben sich in Damaskus Angehörige von verschwundenen Inhaftierten zu einem stillen Protest versammelt, um die neuen Machthaber in Syrien auf das Schicksal ihrer Lieben aufmerksam zu machen und Gerechtigkeit zu fordern. Auf dem zentralen Hidschas-Platz hielten am Freitag mehrere Dutzend verzweifelte Demonstranten Fotos ihrer vermissten Familienmitglieder in die Höhe, wie ein AFP-Korrespondent berichtete.
"Ich will kein unbekanntes Grab für meinen Sohn, ich will die Wahrheit", war auf einem Plakat zu lesen. "Das Schicksal der Verschwundenen aufzudecken, ist ein Recht", hieß es auf einem anderen. Auf einem am alten Bahnhofsgebäude entrollten Transparent stand zudem die Forderung: "Es ist an der Zeit, dass die Tyrannen zur Rechenschaft gezogen werden."
Noch vor drei Wochen habe sie Angst gehabt, sagte die 28-jährige Demonstrantin Amani el-Hallak, die zum ersten Mal demonstriert. Sie setzt alles daran, die sterblichen Überreste ihres 2012 entführten Cousins ausfindig zu machen. Ihr Verwandter habe Zahnmedizin studiert und sei damals von Assads Schergen beim Verlassen der Universität abgeführt worden, berichtet sie. "Sie rissen ihm die Fingernägel aus und er war sofort tot."
Sie sei heute hierhergekommen, weil sie wissen wolle, "wo die Vermissten sind, ihre Leichen, um sie identifizieren können".
Auch Jussef al-Sammaui will wissen, was mit seinem Cousin geschah. Der Syrer, der nach dem Machtwechsel in seiner Heimat aus Deutschland dorthin zurückkehrte, hält das Porträt seines Cousins in den Händen, der 2012 in den Kerkern des Regimes zu Tode gefoltert wurde. Er fordert Gerechtigkeit und will, dass die Verantwortlichen zur Rechenschaft gezogen werden, "um den Familien Gewissheit zu geben, damit sie in diesem Land leben können".
Erst am Donnerstag hatten die Behörden der neuen Machthaber von der islamistischen HTS-Miliz Aktivisten zufolge einen General festgenommen, der für zahlreiche Todesurteile im berüchtigten Saidnaja-Gefängnis verantwortlich sein soll. Laut der Vereinigung der Gefangenen und Vermissten des Saidnaja-Gefängnisses (ADMSP) leitete General Mohammed Kandscho Hassan, der Chef der Militärjustiz unter Assad, von 2011 bis 2014 das syrische Militärgericht - also in den ersten drei Jahren des Bürgerkrieges, der mit der Niederschlagung pro-demokratischer Proteste unter Assad begann.
Die ADMSP schätzt, dass seit 2011 30.000 Menschen im Saidnaja-Gefängnis inhaftiert wurden. Es seien aber nur rund 6000 Menschen entlassen worden. Die anderen bleiben vermisst.
Kämpfer unter Führung der islamistischen HTS-Miliz hatten am 8. Dezember Damaskus erobert und die jahrzehntelange Herrschaft von Assad in Syrien beendet. Assad, dem Entführung, Folter und Ermordung von Andersdenkenden vorgeworfen werden, floh nach Russland.
N. Nilsson--BTZ