HTS-Chef: Kampftruppen der Islamisten werden aufgelöst und in Armee eingegliedert
In Syrien haben die siegreichen Islamisten die Auflösung ihrer Kampftruppen und deren Eingliederung in die Armee angekündigt. Die Kämpfer würden dem Verteidigungsministerium unterstellt, erklärte der Anführer der Miliz Hajat Tahrir al-Scham (HTS), Mohammed al-Dscholani, der inzwischen unter seinem bürgerlichen Namen Ahmed al-Scharaa auftritt, am Montag bei einem Treffen mit Würdenträgern der Gemeinschaft der Drusen. "Alle werden dem Gesetz unterworfen sein."
Kämpfer unter Führung der islamistischen HTS-Miliz hatten am 8. Dezember Damaskus erobert und die langjährige Herrschaft des Machthabers Baschar al-Assad in Syrien beendet. Die wichtigsten Verbündeten Assads - Russland, der Iran und die im Libanon ansässige Hisbollah-Miliz - griffen nicht ein, um den Vormarsch der islamistischen Kämpfer auf die syrische Hauptstadt zu stoppen. Assad, dem Entführung, Folter und Ermordung von Andersdenkenden vorgeworfen werden, floh nach Russland.
HTS-Chef al-Scharaa hat seitdem den Minderheiten im Land sowie ausländischen Regierungen zu versichern versucht, dass die syrische Übergangsregierung alle Syrer sowie die staatlichen Institutionen schützen werde. Nun betonte er die Notwendigkeit von Einheit in dem Land, in dem zahlreiche Religionsgemeinschaften und Ethnien leben.
Er kündigte an, einen "Vertrag" zwischen dem Staat und Religionen schließen zu wollen, um "soziale Gerechtigkeit" sicherzustellen. "Syrien muss geeint bleiben, und es muss einen Sozialvertrag zwischen dem Staat und allen Konfessionen geben, um soziale Gerechtigkeit zu gewährleisten", erklärte der Islamisten-Chef nach Angaben seiner von der HTS angeführten Koalition bei Telegram.
Kurz zuvor hatte sich Assad erstmals öffentlich geäußert und versichert, vor seiner Flucht noch so lange wie möglich in Damaskus ausgeharrt zu haben. "Ich bin bis zum Tagesanbruch des Sonntag, 8. Dezember, in Damaskus geblieben und habe meine Pflicht erfüllt", hieß es in einer am Montag bei Telegram verbreiteten Erklärung des Ex-Staatschefs.
Assad gab weiter an, er sei auf Bitten Moskaus von einer Militärbasis evakuiert worden. Fünf frühere Regierungsmitarbeiter hatten der Nachrichtenagentur AFP zuvor berichtet, dass Assad das Land schon Stunden vor der Einnahme der Hauptstadt durch die HTS und der mit ihr verbündeten Milizen verlassen habe.
Der Sturz der Assad-Regierung hatte in Syrien und an anderen Orten Jubel ausgelöst. Doch hinterlässt der Machthaber, der Proteste gegen die Regierung im Jahr 2011 mit Gewalt niederschlagen ließ, ein durch Folter, dem Verschwindenlassen von Menschen und Hinrichtungen im Schnellverfahren zerrüttetes Land.
Misswirtschaft hat überdies dazu geführt, dass 70 Prozent der Bevölkerung auf Hilfe angewiesen sind. Der Leiter des UN-Büros für humanitäre Angelegenheiten (Ocha), Tom Fletcher, rief am Montag zu einem "massiven Strom von Unterstützung" für Syrien auf.
Die syrische Wirtschaft ächzt zudem unter europäischen und US-Sanktionen. Westliche Staaten bemühen sich um Kontakte zu der neuen Führung in Syrien, allerdings wird die HTS von mehreren westlichen Ländern als "terroristisch" eingestuft. Sie ist aus der Al-Nusra-Front, dem syrischen Ableger des Terrornetzwerkes Al-Kaida hervorgegangen, hat nach eigenen Angaben aber seit 2016 keine Verbindungen mehr zu Al-Kaida.
Bei einem Treffen mit einer Delegation von britischen Diplomaten betonte al-Scharaa am Montag die Notwendigkeit, "alle gegen Syrien verhängten Sanktionen aufzuheben, um die Rückkehr syrischer Flüchtlinge in ihr Land zu ermöglichen", wie seine Gruppe bei Telegram mitteilte.
Die EU-Außenbeauftragte Kaja Kallas kündigte am Montag an, der für Syrien zuständige EU-Diplomat Michael Ohnmacht werde im Tagesverlauf in Damaskus eintreffen. Die EU könne "kein Vakuum" in Syrien zulassen, sagte Kallas weiter. Russland und Iran "sollten keinen Platz in Syriens Zukunft haben", warnte sie.
Auch die Bundesregierung will bald eine Delegation nach Damaskus schicken. Der UN-Syriengesandte Geir Pedersen rief bei einem Treffen mit al-Dscholani zu einem geordneten politischen Übergang in Syrien auf.
Assads Sturz brachte jedoch nicht das Ende aller Kämpfe im Land. Sowohl Israel als auch die Türkei flogen seitdem Luftangriffe. Die Syrische Beobachtungsstelle für Menschenrechte sprach am Montag von mehr als 470 israelischen Angriffen auf syrische Militäranlagen seit dem Umsturz.
Die USA teilten unterdessen mit, dass bei US-Luftangriffen auf Stützpunkte der Dschihadistenmiliz Islamischer Staat (IS) zwölf Mitglieder der Gruppierung getötet worden seien. Mit den Angriffen solle der IS daran gehindert werden, "sich im Zentrum Syriens neu zu formieren".
P. Rasmussen--BTZ