Retter in Syrien durchsuchen berüchtigtes Gefängnis
Einen Tag nach dem Sturz des syrischen Machthabers Baschar al-Assad haben Rettungskräfte das berüchtigte Saidnaja-Gefängnis nahe der Hauptstadt Damaskus nach unterirdischen Zellen durchsucht. Die Hilfsorganisation Weißhelme entsandte am Montag Teams, um nach dort möglicherweise noch eingeschlossenen Gefangenen zu suchen. Die Vereinten Nationen forderten derweil, die Verantwortlichen für die unter der Assad-Herrschaft begangenen Verbrechen zur Rechenschaft zu ziehen. Im Zentrum von Damaskus feierten erneut zahlreiche Menschen ihre neu erlangte Freiheit.
In dem Gefängnis rund 30 Kilometer vor der Hauptstadt seien Sucheinheiten gemeinsam mit Spezialisten für das Einreißen von Mauern und das Öffnen von Eisentüren im Einsatz, hieß es in einer Erklärung der Weißhelme. Zudem seien Hundestaffeln und medizinische Helfer vor Ort.
Die 65-jährige Aida Taha sagte, sie sei auf der Suche nach ihrem 2012 verhafteten Bruder "wie eine Verrückte" durch die Straßen gezogen und zum Saidnaja-Gefängnis gelaufen - in der Hoffnung, ihn dort zu finden. "Das Gefängnis hat drei oder vier unterirdische Stockwerke", sagte sie. Bisher ließen sich die Türen nicht öffnen, weil die passenden Zugangscodes fehlten.
In Onlinemedien teilten Syrer Fotos von angeblich aus den Verliesen befreiten Gefangenen, um Familien auf diese Weise bei ihrer Suche nach ihren teilweise jahrelang vermissten Angehörigen zu unterstützen. Fadwa Mahmud schrieb dort an ihren vermissten Mann und Sohn: "Wo seid ihr, Maher und Abdel Asis? (...) Bitte kommt zurück, lasst meine Freude vollkommen sein."
Das Saidnaja-Gefängnis steht symbolhaft für die Brutalität der jahrzehntelangen Assad-Regierung. Der syrische Staatschef hatte von seinem verstorbenen Vater Hafis al-Assad einen Apparat von Gefängnissen und Haftanstalten übernommen, um gegen Andersdenkende vorzugehen.
Die islamistische Gruppe Hajat Tahrir al-Scham (HTS) und ihre Verbündeten hatten der Assad-Herrschaft am Sonntag ein abruptes Ende bereitet. Die Kämpfer hatten am 27. November im Nordwesten Syriens eine überraschende Offensive gestartet und waren innerhalb weniger Tage bis in die Hauptstadt vorgerückt. Die Islamisten erklärten im Staatsfernsehen, der "Tyrann" Assad sei gestürzt und Damaskus "befreit". Die Kämpfer kündigten zudem an, "alle zu Unrecht Inhaftierte" würden freigelassen.
Der Assad-Clan hatte das Land seit mehr als 50 Jahren mit eiserner Hand regiert. Baschar al-Assad hatte die Macht im Land im Jahr 2000 von seinem verstorbenen Vater übernommen. Mit seiner gewaltsamen Niederschlagung pro-demokratischer Proteste im Jahr 2011 begann ein Bürgerkrieg, dem eine halbe Million Menschen zum Opfer fiel und der Millionen in die Flucht trieb.
Trotz aller politischen Unsicherheiten feierten in Damaskus am Montag erneut zahlreiche Menschen in den Straßen. "Das ist unglaublich, wir hätten nie gedacht, dass dieser Albtraum aufhören könnte - wir sind wiedergeboren worden", sagte die 49-jährige Rim Ramadan auf dem Umayyaden-Platz, wo Autos hupten und Kämpfer Freudenschüsse in die Luft abgaben. Alles fühle sich "wie ein Traum" an.
HTS ist aus der Al-Nusra-Front, dem syrischen Ableger des Terrornetzwerkes Al-Kaida, hervorgegangen, hat nach eigenen Angaben aber seit 2016 keine Verbindungen mehr zu Al-Kaida. Ihr Anführer Abu Mohammed al-Dscholani präsentiert sich moderat.
UN-Menschenrechtskommissar Volker Türk rief am Montag dazu auf, Verantwortliche für während der Assad-Herrschaft begangene Verbrechen zur Rechenschaft zu ziehen. Dies müsse ein "Schlüsselelement" eines politischen Übergangs in Syrien sein, sagte er. Sämtliche Beweise für Verbrechen während dieser Zeit müssten sorgfältig gesichert werden.
Syriens langjähriger Machthaber Assad war am Sonntag außer Landes geflohen. Laut russischen Staatsmedien hält er sich in Moskau ab. Der Kreml wollte entsprechende Berichte am Montag nicht kommentieren.
Russland war jahrelang einer der wichtigsten Unterstützer Assads und unterhält zwei Militärstützpunkte in Syrien. Was nun mit ihnen passiert, ist nach Angaben aus Moskau noch unklar. "Das ist ein Thema für Gespräche mit denjenigen, die in Syrien an der Macht sein werden", sagte Kreml-Sprecher Dmitri Peskow.
Auf Antrag Russlands hält der UN-Sicherheitsrat am Montag eine Dringlichkeitssitzung zu Syrien ab. Syriens Nachbarland Israel schickte nach dem Sturz Assads Soldaten in die Pufferzone auf den Golanhöhen im Grenzgebiet. Dies sei jedoch nur ein "begrenzter und vorübergehender Schritt", sagte Israels Außenminister Gideon Saar. Er bestätigte zudem Angriffe auf Lager mit "chemischen Waffen" in Syrien. Damit solle verhindert werden, dass diese in die Hände von Extremisten fallen.
O. Karlsson--BTZ