AfD-Vorstand kürt Weidel zur ersten Kanzlerkandidatin der Partei
Die AfD hat erstmals eine eigene Kanzlerkandidatin für eine Bundestagswahl aufgestellt. Partei- und Fraktionschefin Alice Weidel soll die Rechtsaußen-Partei in der Wahl am 23. Februar führen: Der AfD-Vorstand nominierte die 45-Jährige am Samstag für das Spitzenamt. "Wir sind bundesweit in den Umfragen zweitstärkste Kraft, und daraus leiten wir ganz klar einen Regierungsanspruch ab", sagte Weidel. Deswegen benenne die AfD zum ersten Mal in ihrer elfjährigen Geschichte eine Kanzlerkandidatin.
Weidel zeichnete bei einem Presseauftritt nach ihrer Nominierung ein düsteres Bild von der aktuellen Lage in Deutschland: "Wir sind abgestürzt, unser Land ist nicht mehr das, was es einmal war", sagte sie. Das Land durchlebe "eine seiner schwersten Krisen". Es sei wirtschaftlich zurückgefallen, verliere international an Einfluss und sehe seinen Frieden bedroht. Die AfD wolle zeigen: "Wir wollen es besser machen."
In aktuellen Umfragen liegt die Partei, die vom Verfassungsschutz in Teilen als rechtsextremistisch eingestuft wird, mit Umfragewerten zwischen 17 und 20 Prozent auf Platz zwei hinter der Union. Aussicht auf eine Regierungsbeteiligung hat sie aber nicht, da keine andere Partei mit ihr koalieren will.
Auf der Pressekonferenz skizzierte Weidel die Grundzüge ihres "Zukunftsplans für Deutschland", der starke Betonung auf einen strengen Abschottungskurs in der Migrationspolitik legt. Die unkontrollierte Zuwanderung sei "die Ursache allen Übels", sagte Weidel.
Die AfD-Chefin warf Zugewanderten vor, für steigende Kriminalität verantwortlich zu sein: Die Bürgerinnen und Bürger dürften "nicht mehr Freiwild sein für marodierende ausufernde Migrantengewalt". Deutschland müsse seine Grenzen besser schützen, forderte sie: "Ein Staat, der die Kontrolle über seine Grenzen abgibt, ist ein Hippie-Staat."
In der Wirtschafts- und Energiepolitik strebt Weidel einen klaren Kurswechsel an: Die Einkommens- und Unternehmenssteuern müssten gesenkt werden, die Energiepreise sollen wieder sinken - unter anderem durch eine komplette Abschaffung des Gesetzes zur Förderung erneuerbarer Energien. In der Außenpolitik wolle die AfD die militärische Unterstützung der Ukraine beenden.
Die Delegierten des AfD-Bundesparteitags Mitte Januar in Riesa müssen Weidels Kanzlerkandidatur noch bestätigen, dies gilt jedoch als Formsache. Bei früheren Bundestagswahlen hatte die AfD auf die Aufstellung eines eigenen Kanzlerkandidaten verzichtet. Weidel war aber schon zwei Mal Teil eines Spitzenkandidaten-Duos für Bundestagswahlen: 2017 mit Alexander Gauland und 2021 mit Ko-Parteichef Tino Chrupalla.
Chrupalla hatte im September seinen Verzicht auf eine Kanzlerkandidatur erklärt und Weidel seine Unterstützung zugesagt. Am Samstag sagte Chrupalla zur künftigen Rollenverteilung: "Wir sehen uns als Mannschaft mit einer Stürmerin und dem Bundessprecher Tino Chrupalla als Libero." Als "Libero" wolle er dazu beitragen, "dass unsere Stürmerin so viele Tore wie möglich erzielt". Laut Chrupalla wurde Weidel im Vorstand mit der Unterstützung aller Landesvorsitzenden zur Kandidatin gekürt.
Wenige Tage vor Weidels Nominierung hatte die AfD den Entwurf eines Wahlprogramms vorgelegt, der stark nationalistische Töne anschlägt: Die AfD will raus aus EU und Eurozone, fordert eine strikte Anti-Migrationspolitik, plädiert für eine Wiederannäherung an Russland, will das Recht auf Abtreibung einschränken und traditionelle Familienmodelle stärken.
Die promovierte Volkswirtin Weidel trat im Gründungsjahr 2013 in die AfD ein. Seit 2015 ist sie im Vorstand und seit Juni 2022 Ko-Parteivorsitzende. Bereits seit 2017 leitet sie die Fraktion im Bundestag - von 2021 an zusammen mit Chrupalla.
Als homosexuelle Politikerin, die mit ihrer Lebenspartnerin zwei Söhne großzieht, ist Weidel in ihrer Partei eine Ausnahmeerscheinung. Kritik an ihren privaten Lebensverhältnissen verbat sich Weidel am Samstag mit scharfen Worten: Sie habe eine Botschaft für "all diejenigen, die mir vorwerfen, ich würde ja nicht für die LGBT-Interessen und für das ganze Hü und Hott eintreten", sagte sie. Sie wolle "einfach in Ruhe gelassen werden von all dem ganzen Gender-Zeug und von einem übergriffigen Staat".
D. O'Sullivan--BTZ