Islamisten in Syrien rücken auch auf Großstadt Homs vor
Die islamistischen Kämpfer in Syrien rücken offenbar weiter rasant im Land vor. Nach ihrer Einnahme der Großstädte Aleppo und Hama im Nordwesten des Landes befänden sich die Gruppe Hajat Tahrir al-Scham (HTS) und ihre Verbündeten nur noch fünf Kilometer von der Stadt Homs entfernt, erklärte am Freitag die Syrische Beobachtungsstelle für Menschenrechte. HTS-Anführer Abu Mohammed al-Dscholani bekräftigte das Ziel, Machthaber Baschar al-Assad zu stürzen.
Homs ist nach der Hauptstadt Damaskus und Aleppo die drittgrößte Stadt des Landes. Auf dem Weg Richtung Homs seien die HTS und ihre Verbündeten in die Städte Rastan und Talbisseh eingedrungen, erklärte die Beobachtungsstelle. Es sei eine "völlige Abwesenheit" von Truppen der Assad-Regierung in diesen beiden Städten festzustellen gewesen.
Die in Großbritannien ansässige Syrische Beobachtungsstelle für Menschenrechte bezieht ihre Informationen aus einem Netzwerk verschiedener Quellen in Syrien. Die Angaben der Beobachtungsstelle lassen sich nicht unabhängig überprüfen.
Sollten die Islamisten auch Homs einnehmen, würde dies die Verbindung zwischen der im Süden gelegenen Hauptstadt Damaskus und der Mittelmeerküste abschneiden. An der Küste liegen zahlreiche Hochburgen der Assad-Familie.
Am Freitag zog sich laut der Beobachtungsstelle die Armee auch aus der im Osten des Landes gelegenen Stadt Deir Essor zurück. Die "Regimekräfte" hätten sich gemeinsam mit Anführern verbündeter pro-iranischer Gruppen "plötzlich" aus Deir Essor und dessen Umland zurückgezogen, ganze Konvois mit Soldaten bewegten sich in Richtung Zentralsyrien, teilte der Chef der Beobachtungsstelle, Rami Abdel Rahman, der Nachrichtenagentur AFP mit.
Das syrische Verteidigungsministerium erklärte seinerseits, es habe in der Provinz Hama "Fahrzeuge und Versammlungen" von "Terroristen" beschossen. Dabei seien Artillerie, Raketen und syrische wie russische Kampfflugzeuge zum Einsatz gekommen, hieß es. Zudem entsandte die Armee Verstärkung nach Homs.
Angesichts des Vorrückens der Islamisten äußerten die in Teilen von Nordsyrien herrschenden kurdischen Kräfte ihre Bereitschaft zu Gesprächen. Die Offensive deute auf eine "neue politische und militärische Realität", sagte der Anführer der Demokratischen Kräfte Syriens (SDF), Maslum Abdi, vor Journalisten. Die SDF wollten ihre "Probleme" mit der HTS und der ihr nahestehenden Türkei "durch Dialog" lösen.
Durch die jüngsten Kämpfe wurden nach Angaben der UNO 280.000 Menschen in die Flucht getrieben. Wie der Chef der Notfallkoordination des Welternährungsprogramms (WFP), Samer Abdel Jaber, erklärte, könnte diese Zahl auf 1,5 Millionen steigen. Laut der Beobachtungsstelle für Menschenrechte verließen alawitische Syrer aus Furcht vor den Islamisten "massenhaft" ihre Wohnviertel in Homs.
HTS-Anführer al-Dscholani bekräftigte in einem Interview mit dem US-Sender CNN das Ziel seiner Gruppierung, Assad zu stürzen. "Wenn wir über Ziele sprechen, bleibt das Ziel der Revolution der Sturz dieses Regimes. Es ist unser Recht, alle verfügbaren Mittel einzusetzen, um dieses Ziel zu erreichen", sagte al-Dscholani.
Nach Jahren verhältnismäßigen Stillstands im syrischen Bürgerkrieg hatten vor einer Woche die HTS und mit ihr verbündete Gruppierungen die Großoffensive im Nordwesten des Landes gestartet. Es sind die intensivsten Kämpfe seit vier Jahren. Der Bürgerkrieg war im Jahr 2011 durch Proteste gegen Assad ausgelöst worden.
Angesichts des Vormarschs der islamistischen Regierungsgegner wollen sich nach AFP-Informationen am Samstag die Außenminister der Türkei, des Iran und Russlands treffen. Das Treffen werde in der katarischen Hauptstadt Doha im sogenannten Astana-Format stattfinden, hieß es aus Kreisen des Außenministeriums in Ankara. Das Astana-Format ist eine Plattform für Verhandlungen über die Zukunft Syriens.
Der Iran und Russland sind wichtige Verbündete Assads. Die Türkei teilt eine lange Landgrenze mit Syrien und hat fast drei Millionen Flüchtlinge von dort aufgenommen. Ankara unterstützt seit Jahren Aufständische im Norden Syriens, bemühte sich jedoch in den vergangenen Monaten um eine Annäherung an die Regierung des Nachbarlandes.
Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan drückte am Freitag seine Hoffnung auf einen problemlosen Vormarsch der Islamisten in Syrien aus. Er erklärte: "Idlib, Hama, Homs und natürlich das Ziel, Damaskus: Der Vormarsch der Oppositionellen geht weiter. Wir wünschen uns, dass dieser Vormarsch ohne Zwischenfälle fortgesetzt wird."
Die Bundesregierung brachte ihren Wunsch zum Ausdruck, dass eine "politische Lösung" für Syrien geben werde. Assad sei der "Kopf eines Regimes, das in der Vergangenheit vor nichts zurückgeschreckt hat" und "ein furchtbarer Massenmörder", sagte ein Sprecher des Auswärtigen Amts.
K. Berger--BTZ