Hitzige Debatte im Bundestag über Neuregelung von Abtreibungen
Ende der Stigmatisierung oder mangelnder Schutz ungeborenen Lebens: In einer hitzigen Debatte hat der Bundestag am Donnerstag erstmals den fraktionsübergreifenden Gesetzentwurf zu einer Neuregelung von Abtreibungen diskutiert. Die von mehreren hundert Abgeordneten unterstützte Initiative sieht eine Legalisierung von frühen Schwangerschaftsabbrüchen vor. Ob sie aber noch vor der Neuwahl im Bundestag abgestimmt wird, ist ungewiss.
Paragraf 218 des Strafgesetzbuches verbietet Schwangerschaftsabbrüche grundsätzlich. Abtreibungen bleiben allerdings bis zur zwölften Schwangerschaftswoche straffrei, wenn sich Schwangere mindestens drei Tage vor dem Eingriff bei einer staatlich anerkannten Stelle beraten lassen.
Der von Abgeordneten verschiedener Fraktionen erarbeitete Gesetzentwurf sieht vor, dass Abtreibungen bis zur zwölften Woche nach vorheriger Beratung grundsätzlich erlaubt sind, sofern sie ärztlich durchgeführt werden. Die Beratung soll weiter verpflichtend sein, allerdings ohne die drei Tage Bedenkfrist.
Abtreibungen sollen dem Gesetzentwurf zufolge überwiegend im Schwangerschaftskonfliktgesetz geregelt werden. Paragraf 218 soll - neu formuliert - im Strafgesetzbuch erhalten bleiben und nur noch solche Abtreibungen unter Strafe stellen, zu der Frauen gezwungen werden oder die gegen ihren Willen stattfinden.
Zudem sollen die Kosten für eine Abtreibung von den gesetzlichen Krankenkassen übernommen werden. Bisher ist dies nicht der Fall, was "eine erhebliche Einschränkung der Selbstbestimmung, der persönlichen Integrität und der körperlichen Autonomie Schwangerer" darstellt, wie es im Gesetzentwurf heißt.
Die Grünen-Abgeordnete Ulle Schauws nannte die bisherige Regelung im Bundestag "zutiefst patriarchal". Abtreibungen seien immer noch ein Tabu, die betroffenen Frauen litten unter Stigmatisierung. "Schuldgefühle für Frauen - damit muss endgültig Schluss sein", sagte Schauws.
Die SPD-Politikerin Carmen Wegge sprach von einem "ausgewogenen, moderaten und alle Rechte berücksichtigenden" Entwurf. "Wir schlagen eine Entkriminalisierung der Frau vor", sagte Wegge. Die Linken-Politikerin Heidi Reichinnek sagte: "Schwangerschaftsabbrüche sind kein Verbrechen."
Kritik kam unter anderem von der CDU/CSU-Fraktion. Die Union stehe "uneingeschränkt" zur bisherigen Regelung, sagte die CDU-Abgeordnete Elisabeth Winkelmeier-Becker. Dorothee Bär von der CSU warf den Unterstützenden der Neuregelung einen "spalterischen Kulturkampf" vor. "Mit uns ist Lebensschutz nicht verhandelbar", sagte Bär und kündigte an, die Union werde "geschlossen als Fraktion nicht zustimmen".
Gyde Jensen von der FDP sprach sich grundsätzlich für eine Neuregelung aus, kritisierte aber "die Eile" des aktuellen Vorstoßes. Die AfD-Abgeordnete Beatrix von Storch sagte, ihre Partei trage "den gesellschaftlichen Kompromiss zu 218 und will ihn nicht verschärfen". Die bisherige Regelung sei "salomonisch".
Festgeschrieben wurde Paragraf 218 erstmals 1871 im Strafgesetzbuch des Kaiserreichs und war im Nachkriegs-Westdeutschland Gegenstand erhitzter Debatten. 1971 publizierte der "Stern" eine Titelgeschichte, in der sich Frauen öffentlich zur Abtreibung bekannt hatten. 1974 beschloss der Bundestag mit knapper Mehrheit die Dreimonats-Fristregelung.
Der Gesetzentwurf für die Neuregelung hatte mit Stand Donnerstag 328 Erstunterstützende von SPD, Grünen, Linken und dem Südschleswigschen Wählerverband (SSW). Darunter sind auch Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) und Vizekanzler Robert Habeck (Grüne). Unions-Kanzlerkandidat Friedrich Merz (CDU) hatte Scholz' Unterstützung für das Projekt zuletzt als "skandalös" bezeichnet.
Bei einer Abstimmung könnten noch weitere Befürworter aus anderen Fraktionen hinzukommen. BSW-Chefin Sahra Wagenknecht signalisierte bereits, dass ihre zehnköpfige Gruppe dem Antrag zustimmen werde. "Der Paragraf gehört aus dem Strafgesetzbuch gestrichen, denn er kriminalisiert Frauen und Ärzte", sagte die BSW-Abgeordnete Sevim Dagdelen. Derzeit hat der Bundestag 733 Abgeordnete, eine Mehrheit wäre bei 367 erreicht.
Ob es zu einer Abstimmung aber noch kommt, ist unklar. Nach der ersten Lesung am Donnerstag wird der Antrag zunächst in die zuständigen Ausschüsse verwiesen. Am 23. Februar wird neu gewählt. Bereits am kommenden Samstag soll es in Berlin eine Demonstration für die Gesetzesänderung geben.
L. Pchartschoy--BTZ