Islamistische Kämpfer nehmen syrische Stadt Hama ein - Armee zieht sich zurück
Eine Woche nach Beginn ihrer Großoffensive in Syrien und nur wenige Tage nach der Eroberung Aleppos haben die von Islamisten angeführten Milizen die strategisch wichtige Stadt Hama eingenommen. Das syrische Militär räumte am Donnerstag ein, die Kontrolle über die viertgrößte Stadt des Landes verloren zu haben. Der Anführer der islamistischen Miliz Hajat Tahrir al-Scham (HTS), Abu Mohammed al-Dscholani, sprach von einer "Eroberung ohne Rache". Syrische Staatsmedien berichteten unterdessen von einem Drohnenangriff auf die Hauptstadt Damaskus.
Die islamistischen Kämpfer seien "von mehreren Seiten aus nach Hama eingerückt" und lieferten sich "in mehreren Stadtvierteln Straßenkämpfe" mit Truppen der Regierung von Machthaber Baschar al-Assad, erklärte die Syrische Beobachtungsstelle für Menschenrechte.
Die syrische Armee räumte ein, den "Terrorgruppen" sei es "in den letzten Stunden" gelungen, "mehrere Fronten in der Stadt zu durchbrechen und in die Stadt einzudringen". Die Regierungstruppen seien "aus der Stadt verlegt" worden.
HTS-Anführer al-Dscholani sagte in einem online verbreiteten Video, seine Kämpfer seien in Hama eingedrungen, "um die Wunde zu reinigen, die seit 40 Jahren in Syrien klafft". Damit bezog er sich auf die Niederschlagung eines islamistischen Aufstands in Hama im Jahr 1982, bei dem tausende Menschen getötet wurden. "Ich bitte den allmächtigen Gott, dass es eine Eroberung ohne Rache ist", fügte al-Dscholani hinzu.
Der Rebellenführer mahnte zudem den irakischen Ministerpräsidenten Mohammed Schia al-Sudani, "den Irak davon abzuhalten, sich in den neuen Brennpunkt der Ereignisse in Syrien zu begeben". Eine einflussreiche, mit dem Iran verbündete Gruppierung im Irak hatte zuvor Bagdad aufgerufen, Soldaten zur Unterstützung der syrischen Regierung zu entsenden.
Hassan Abdel Ghani, ein militärischer Anführer der Rebellenkoalition erklärte im Onlinedienst Telegram: "Unsere Streitkräfte sind in das Zentralgefängnis von Hama eingedrungen und haben Hunderte zu Unrecht inhaftierte Gefangene befreit."
Den islamistischen Kämpfern gelang es, Hama trotz Artilleriefeuer und Angriffen der syrischen und russischen Luftwaffen binnen weniger Tage einzunehmen. Sie setzten damit ihre vor einer Woche unerwartet begonnene und von schnellen Erfolgen geprägte Großoffensive fort.
Erst am vergangenen Wochenende hatten die Miliz HTS und mit ihr verbündete Gruppierungen das nordsyrische Aleppo eingenommen, die zweitgrößte Stadt des Landes. Die Islamisten veröffentlichten am Mittwoch auf Telegram Aufnahmen von HTS-Chef al-Dscholani bei einem Besuch in Aleppo, wie er Anhängern aus einem Auto heraus zuwinkt.
Hama im westlichen Zentrum von Syrien liegt zwischen Aleppo und Damaskus im Süden und ist für den Schutz der rund 220 Kilometer entfernten Hauptstadt von großer Bedeutung.
Auch Damaskus war der staatlichen Nachrichtenagentur Sana zufolge am Donnerstag Ziel von Angriffen. Sana zitierte Militärkreise, wonach die syrische Luftabwehr zwei "feindliche" Drohnen über Damaskus abgefangen habe. Demnach kamen weder Menschen noch Gebäude zu Schaden.
Nach Angaben der Syrischen Beobachtungsstelle sind seit Beginn der Kämpfe vor einer Woche 727 Menschen getötet worden, darunter 111 Zivilisten. Die in Großbritannien ansässige Syrische Beobachtungsstelle für Menschenrechte bezieht ihre Informationen aus einem Netzwerk verschiedener Quellen in Syrien. Die Angaben der Beobachtungsstelle lassen sich nicht unabhängig überprüfen.
Es sind die intensivsten Kämpfe seit vier Jahren in dem 2011 durch Proteste gegen die Regierung von Präsident Assad ausgelösten Bürgerkrieg. Laut Vereinten Nationen sind durch die Kämpfe 115.000 Menschen in den Provinzen Idlib und Aleppo vertrieben worden.
China riet seinen Staatsbürgern in Syrien angesichts der jüngsten Eskalation zur Ausreise. Chinesen in Syrien sollten "nach Hause zurückzukehren oder das Land so schnell wie möglich verlassen", erklärte die Botschaft im Onlinedienst Wechat.
P. Hansen--BTZ