Krieg im Gazastreifen: Amnesty International wirft Israel "Völkermord" vor
Die Menschenrechtsorganisation Amnesty International hat Israel in einem neuen Bericht einen "Völkermord" an den Palästinensern im Gazastreifen vorgeworfen. "Unsere Recherchen ergeben, dass der Staat Israel über Monate einen Völkermord begangen hat und weiterhin begeht", erklärte die Generalsekretärin von Amnesty International Deutschland, Julia Duchrow, am Donnerstag. Israel wies die erhobenen Vorwürfe als "völlig falsch" zurück. Die Palästinensische Autonomiebehörde erklärte dagegen, die Organisation stütze ihre Berichte auf "Beweise".
In dem knapp 300-seitigen Bericht kommt Amnesty International zu dem Schluss, dass Israel "durch seine Handlungen und Unterlassungen einen Völkermord" an der Bevölkerung im Gazastreifen "begangen hat und weiterhin begeht".
Generalsekretärin Duchrow forderte ein Ende des "Genozids in Gaza". Nötig seien eine Waffenruhe und ein umfassendes Waffenembargo. Wer weiterhin Waffen an Israel liefere, laufe Gefahr, "sich an einem Völkermord zu beteiligen". Das gelte "insbesondere für wichtige Rüstungslieferanten wie Deutschland", erklärte sie.
In dem Bericht untersuchte die Menschenrechtsorganisation beispielhaft 15 Luftangriffe zwischen dem 7. Oktober 2023 und dem 20. April 2024. Dabei seien mindestens 334 Zivilisten getötet und Hunderte Menschen verletzt worden, hieß es. Demnach wurden "keine Beweise" dafür gefunden, dass diese Angriffe auf militärische Ziele gerichtet waren.
Für die Recherchen sprach Amnesty nach eigenen Angaben unter anderem mit palästinensischen Betroffenen, Zeugen und medizinischem Personal. Auch Satellitenaufnahmen, Aussagen von hochrangigen Vertretern der israelischen Regierung und des Militärs sowie von offiziellen Institutionen seien ausgewertet worden.
Die Organisation kündigte an, auch einen Bericht über den von der radikalislamischen Hamas auf Israel ausgeführten brutalen Überfall am 7. Oktober 2023 anzufertigen.
Das israelische Außenministerium wies den Amnesty-Bericht zum Gazastreifen und die darin erhobenen Vorwürfe umgehend zurück. "Die bedauernswerte und fanatische Organisation Amnesty International hat wieder einmal einen erfundenen Bericht vorgelegt, der völlig falsch ist und auf Lügen beruht", hieß es in einer Erklärung. Der Hamas-Angriff am 7. Oktober sei "völkermörderisch" gewesen. Israel verteidige nur sich selbst, und handele "in voller Übereinstimmung mit dem Völkerrecht".
Ein Sprecher der israelischen Armee sagte der Nachrichtenagentur AFP, dass der Amnesty-Bericht die "operativen Realitäten" des Militärs nicht berücksichtige. Die israelischen Streitkräfte ergriffen "alle möglichen Maßnahmen, um den Schaden für Zivilisten bei ihren Einsätzen zu begrenzen", sagte er, darunter Warnungen vor Angriffen oder die Erleichterung des sicheren Transports in bestimmte Gebiete.
Auch die deutsch-israelische Gesellschaft (DIG) äußerte scharfe Kritik an dem Bericht. "Den falschen Vorwurf des Genozids gegenüber Israel weisen wir entschieden zurück", erklärte DIG-Präsident Volker Beck. Israel habe nicht das Ziel, die Bevölkerung in dem Palästinensergebiet "als Gruppe ganz oder teilweise" zu zerstören. Das Ziel sei vielmehr, die Geiseln zu befreien und die Hamas zu entwaffnen.
Lob äußerte dagegen die Palästinensische Autonomiebehörde: "Amnesty ist eine glaubwürdige globale Organisation, die ihre Berichte auf Beweise stützt", sagte der Berater des palästinensischen Außenministers der AFP.
Der Krieg im Gazastreifen war durch den beispiellosen Großangriff der islamistischen Hamas auf Israel am 7. Oktober ausgelöst worden. Damals hatten Kämpfer der Hamas und anderer militanter Palästinensergruppen mehrere Orte und ein Musikfestival im Süden Israels angegriffen, nach israelischen Angaben wurden 1208 Menschen getötet.
Israel geht seit dem Angriff massiv militärisch im Gazastreifen vor. Dabei wurden nach Angaben der Hamas-Gesundheitsbehörde, die nicht unabhängig überprüft werden können, mehr als 44.500 Menschen getötet.
Unabhängige UN-Experten beschuldigten Israel wiederholt des "Völkermords" im Gazastreifen. Der Internationale Gerichtshof in Den Haag prüft derzeit eine im Dezember 2023 eingereichte Klage, in der Südafrika Israel "Völkermord" in dem Palästinensergebiet vorwirft. Wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Kriegsverbrechen im Gazastreifen erließ der Internationale Strafgerichtshof (IStGH) im November Haftbefehle gegen den israelischen Regierungschef Benjamin Netanjahu, seinen ehemaligen Verteidigungsminister Joav Gallant sowie Hamas-Militärchef Mohammed Deif.
Die israelischen Behörden weisen alle derartigen Anschuldigungen mit Nachdruck zurück. Sie werfen dagegen der Hamas vor, Menschen als Schutzschilde zu missbrauchen.
D. O'Sullivan--BTZ