Syrien: Assad stellt Dschihadisten-Offensive als westliche Destabilisierung dar
Bei der Großoffensive dschihadistischer Kämpfer in Syrien handelt es sich nach Ansicht von Machthaber Baschar al-Assad um einen Versuch, die Grenzen in der Region entsprechend westlicher Interessen zu verschieben. Die jüngste Eskalation spiegele die Ziele wider, "die Landkarte im Einklang mit den Zielen der Vereinigten Staaten und des Westens neu zu gestalten", zitierte Assads Büro am Montag den Staatschef.
Assads Äußerungen stammten aus einem Telefongespräch mit dem iranischen Präsidenten Massud Peseschkian. Darin sprach er der Mitteilung zufolge von einer "terroristischen Eskalation", die die "Region spalten und die Länder darin fragmentieren" solle.
Die Dschihadistengruppe Hajat Tahrir al-Scham (HTS), der syrische Ableger des Terrornetzwerkes Al-Kaida, und verbündete Gruppierungen hatten am Mittwoch im Norden Syriens eine überraschende Großoffensive gegen die Regierungstruppen gestartet. Dabei gelang es ihnen, die Stadt Aleppo nahezu vollständig unter ihre Kontrolle zu bringen. Das mit Assad verbündete Russland flog daraufhin erstmals seit 2016 wieder Luftangriffe auf die Stadt.
Am Montag griffen die Dschihadisten auch mehrere Viertel der nordsyrischen Stadt Hama mit Raketenwerfern an. Dabei wurden nach Angaben der Syrischen Beobachtungsstelle für Menschenrechte sechs Menschen getötet. Es war der erste derartige Angriff der Dschihadisten in Hama.
Die Großoffensive der Dschihadisten führte laut der Beobachtungsstelle zu den heftigsten Kämpfen im syrischen Bürgerkrieg seit 2020. Daei wurden nach Angaben dieser Aktivisten-Organisation bis Montag mehr als 514 Menschen getötet, darunter 268 regierungsfeindliche Kämpfer, 154 Regierungssoldaten und 92 Zivilisten.
Aleppo konnten die HTS und ihre Verbündeten laut der Beobachtungsstelle nahezu vollständig erobern - mit Ausnahme der von kurdischen Kräften kontrollierten Stadtteile. Demnach nahmen die Dschihadisten auch Dutzende anderer Städte im Norden des Landes ein. Die Beobachtungsstelle mit Sitz in Großbritannien bezieht ihre Informationen aus einem Netzwerk verschiedener Quellen in Syrien. Ihre Angaben sind von unabhängiger Seite kaum zu überprüfen.
Der syrische Bürgerkrieg hatte 2011 begonnen, nachdem Assad Proteste gegen die Regierung mit Gewalt niederschlagen ließ. Eine halbe Million Menschen wurden getötet und Millionen weitere vertrieben. Zuletzt war der Konflikt weitgehend eingefroren gewesen.
Die Türkei wies Assads Andeutungen über "ausländische Einmischung" zurück. "Der Mangel an Gesprächen zwischen dem Regime und der Opposition hat das Problem zu diesem Punkt gebracht", argumentierte Außenminister Hakan Fidan. Pro-türkische Verbände kämpfen im Norden Syriens gegen die Kurdenmiliz YPG. Die YPG wird von Ankara als verlängerter Arm der in der Türkei als "terroristisch" eingestuften und verbotenen Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) betrachtet.
Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan erklärte, die Türkei habe schon lange auf die Möglichkeit hingewiesen, "dass die Spirale der Gewalt im Nahen Osten auch Syrien erreichen könnte". Ankara ergreife "notwendige Maßnahmen", um Handlungen zu verhindern, die ihre "nationalen Sicherheitsprioritäten" beeinträchtigen könnten. Ziel der Türkei sei es, die seit 13 Jahren anhaltende "Instabilität" in Syrien zu beenden.
Unterdessen wurden syrische Kurden vor den Angriffen pro-türkischer Kämpfer in unter kurdischer Kontrolle stehenden Gebieten in Sicherheit gebracht. "Eine kleine Gruppe von Menschen ist in Tabka angekommen. Die restlichen Vertriebenen folgen in den nächsten Stunden", sagte der Sprecher des kurdisch geführten Militärbündnisses Demokratische Kräfte Syriens (SDF), Farhad Schami. Zuvor hatte bereits SDF-Chef Maslum Abdi Evakuierungen aus der Stadt Tal Rifaat verkündet, nachdem pro-türkische Kämpfer diese angegriffen hatten.
Die Regierung Assad wird von Russland und dem Iran unterstützt, die beide am Montag weitere militärische Hilfe zusagten. Der russische Staatschef Wladimir Putin und Irans Präsident Peseschkian hätten bei einem Telefonat ihre "bedingungslose Unterstützung" für die syrische Regierung ausgedrückt und die Notwendigkeit einer Abstimmung mit der Türkei betont, erklärte der Kreml.
UN-Generalsekretär António Guterres forderte nein sofortiges Ende der Kämpfe, wie sein Sprecher Stéphane Dujarric mitteilte. "Alle Parteien müssen alles in ihrer Macht Stehende tun, um Zivilisten und zivile Infrastruktur zu schützen", wurde Guterres zitiert.
Der UN-Sicherheitsrat kommt am Dienstag zu einer Sondersitzung zur Lage in Syrien zusammen. Die Sitzung war von der Regierung in Damaskus beantragt worden, die dafür die Unterstützung dreier afrikanischer Staaten erhielt, wie Diplomaten in New York mitteilten.
Y. Rousseau--BTZ