Georgien: Polizei geht erneut mit Wasserwerfern gegen Demonstranten vor
In Georgien sind in der Hauptstadt Tiflis erneut tausende Menschen gegen die Regierung auf die Straße gegangen. Wie bereits am Vorabend ging die Bereitschaftspolizei am Freitagabend mit Tränengas und Wasserwerfern gegen Menschen vor, die gegen die von Regierungschef Irakli Kobachidse angekündigte Verzögerung der EU-Beitrittsverhandlungen bis 2028 protestierten. Die amtierende Präsidentin Salome Surabischwili, eine erklärte Gegnerin Kobachidses, erklärte in einer Fernsehansprache ihre "Solidarität" mit der "Widerstandsbewegung".
Wir werden zusammenhalten, bis Georgien seine Ziele erreicht hat: Rückkehr auf den europäischen Weg und Neuwahlen", sagte Surabischwili.
Angesichts der Meldungen über gewaltsames Vorgehen der georgischen Behörden rief Frankreich die Regierung in Tiflis auf, das "Recht auf friedliche Proteste" zu respektieren. In der Erklärung des Außenministeriums in Paris hieß es weiter, Frankreich werde "starke Verbindungen zur georgischen Bevölkerung aufrecht erhalten und ihre europäischen Bestrebungen, die nicht verraten werden dürfen, weiterhin unterstützen".
Auf der Demonstration am Freitagabend sagte die 39-jährige Teilnehmerin Laura Kekelidse, die "selbsternannte Regierung" der Partei Georgischer Traum tue alles, "um Georgiens Chancen auf einen EU-Beitritt zu zerstören". Sie fügte an: "Sie wissen, dass ihre autoritäre Herrschaft nicht mit einer EU-Mitgliedschaft vereinbar ist."
Bereits in der Nacht auf Freitag waren bei Auseinandersetzungen zwischen Demonstranten und der Polizei in Tiflis Regierungsangaben zufolge Dutzende Menschen festgenommen worden. Wenige Stunden zuvor war Kobachidse vom Parlament erneut im Amt bestätigt worden. Wie ein Journalist der Nachrichtenagentur AFP berichtete, schlug die Polizei in Tiflis auf friedlich protestierende Teilnehmer ein. Zudem setzte sie Gummigeschosse, Tränengas und Wasserwerfer ein.
Nach Angaben des Innenministeriums wurden in der Nacht 43 Menschen "wegen Missachtung polizeilicher Anordnungen" und Vandalismus festgenommen. 32 Polizisten seien durch die "illegalen und gewaltsamen Aktionen" der Demonstranten verletzt worden.
Zwei Oppositionspolitikerinnen des Bündnisses für den Wandel, Elene Choschtaria und Nana Malaschchia, wurden bei den Ausschreitungen verletzt. Choschtaria erlitt einen Armbruch, Malaschchia wurde die Nase gebrochen, wie das Oppositionsbündnis erklärte. Dem georgischen Ableger des PEN Zentrums zufolge war der bekannte georgische Dichter Zviad Ratiani unter den Festgenommenen. Laut georgischen Medien wurden auch mehrere Journalisten festgenommen.
Der Europarat warf den georgischen Sicherheitskräften eine "brutale Unterdrückung" der Demonstranten vor und forderte Georgien auf, "den europäischen Werten treu zu bleiben".
In Georgien hat es seit der Parlamentswahl vom 26. Oktober zahlreiche Proteste von Gegnerinnen und Gegnern der Regierungspartei Georgischer Traum gegeben. Die Partei hatte laut offiziellem Wahlergebnis eine deutliche Mehrheit errungen. Die Opposition wirft ihr jedoch Wahlbetrug vor und boykottiert das neue Parlament.
Ungeachtet dessen bestätigten die Abgeordneten der Regierungspartei Kobachidse am Donnerstag im Amt. Dieser kündigte daraufhin an, den angestrebten EU-Beitritt Georgiens bis 2028 zurückzustellen.
Die pro-europäische Präsidentin Salome Surabischwili hatte das neue Parlament wegen der Betrugsvorwürfe als verfassungswidrig eingestuft und das Wahlergebnis vor dem Verfassungsgericht angefochten. Rechtsexperten zufolge sind die Beschlüsse des neuen Parlaments ungültig, solange das Gericht nicht über Surabischwilis Antrag entschieden hat. Etwa 90 georgische Diplomaten kritisierten ebenfalls Kobachidses Ankündigung, die weitere EU-Integration des Landes zurückzustellen.
Das Ziel des EU-Beitritts ist in der georgischen Verfassung verankert und wird laut Umfragen von 80 Prozent der Bevölkerung unterstützt. Georgien ist seit Dezember 2023 offiziell EU-Beitrittskandidat. Seitdem hat die Moskau-freundliche Regierung aber mehrere Gesetze verabschiedet, die in Brüssel große Sorge hervorrufen. Darunter ist ein Gesetz gegen "ausländische Einflussnahme" nach russischem Vorbild.
Die EU fror deshalb Ende Juni den Beitrittsprozess mit Georgien ein. Das Europaparlament verabschiedete am Donnerstag eine Resolution, in der das Wahlergebnis in Georgien wegen "erheblicher Unregelmäßigkeiten" abgelehnt und eine Neuwahl gefordert wird.
Die Opposition beschuldigt die Regierung, Georgien von der EU zu entfernen und die ehemalige Sowjetrepublik wieder an Russland annähern zu wollen. Die Ukraine warf Georgien am Freitag vor, die EU-Beitrittsverhandlungen zu verzögern, um "Moskau zufrieden zu stellen". Das Außenministerium in Kiew verurteilte auch den Einsatz "von Gewalt gegen eine friedliche Demonstration".
Das Auswärtige Amt in Berlin teilte mit, es beobachte die Entwicklung in Georgien "mit großer Sorge". Der EU-Beitrittsprozess ruhe de facto seit dem Frühjahr 2024, erklärte ein Sprecher am Freitag. Er betonte jedoch, die Tür bleibe geöffnet, "wenn Georgien diesen Weg wieder einschlagen will".
F. Schulze--BTZ