Netanjahu an Guterres: Unifil-Blauhelme müssen "sofort aus der Gefahrenzone"
Nach der Verletzung mehrerer Blauhelmsoldaten der UN-Friedensmission im Libanon durch Beschuss bei Kampfhandlungen und scharfer internationaler Kritik daran hat Israels Regierungschef Benjamin Netanjahu UN-Generalsekretär António Guterres aufgefordert, die Unifil-Soldaten aus der Gefahrenzone zu bringen. Zuvor hatte Verteidigungsminister Joav Gallant betont, Israels Streitkräfte würden "Maßnahmen ergreifen", um die Blauhelme zu schützen. Die israelische Armee weitete indes ihre Luftangriffe im Libanon auf Ziele außerhalb der Hisbollah-Hochburgen aus.
"Herr Generalsekretär, entfernen Sie die Unifil-Truppen aus der Gefahrenzone. Das sollte jetzt sofort geschehen", sagte Netanjahu in einer am Sonntag von seinem Büro veröffentlichten Videobotschaft.
Gallant hatte zuvor nach einem Gespräch mit seinem US-Kollegen Lloyd Austin erklärt, die Streitkräfte würden trotz der "operativen Herausforderung" durch die Präsenz der Hisbollah in der Nähe der Unifil-Stellungen "weiterhin Maßnahmen ergreifen, um Schaden von den Unifil-Truppen (...) im Südlibanon abzuwenden".
Die UN-Friedensmission hatte der israelischen Armee vorgeworfen, ihre Stellungen in der südlibanesischen Stadt Nakura, wo sich das Unifil-Hauptquartier befindet, in den vergangenen Tagen "vorsätzlich" beschossen zu haben. Nach Unifil-Angaben wurden dabei insgesamt fünf Soldaten verletzt. Die Vorfälle wurden international scharf verurteilt. 40 Länder sagten der UN-Friedenstruppe im Anschluss ihre "uneingeschränkte" Unterstützung zu.
Papst Franziskus forderte am Sonntag nach dem Angelus-Gebet im Vatikan Respekt für die Blauhelme. "Ich bin allen Beteiligten nahe, Palästina, Israel, Libanon, und ich bitte darum, dass die UN-Friedenstruppen respektiert werden."
Die gegenseitigen Angriffe zwischen der israelischen Armee und der Hisbollah-Miliz im Libanon gingen am Wochenende unvermindert weiter. In von der Hisbollah kontrollierten Gebieten trafen israelische Kampfflugzeuge am Samstag einen Marktplatz in der südlichen Stadt Nabatijeh und am Sonntag eine hundert Jahre alte Moschee im Dorf Kfar Tibnit nahe der Grenze, wie die libanesische Nachrichtenagentur NNA berichtete. Die Moschee wurde den Berichten zufolge komplett zerstört.
Auch in Ortschaften außerhalb der als Hochburgen der Hisbollah im Libanon geltenden Gebiete flog die israelische Armee Luftangriffe. Libanesischen Angaben zufolge wurden dabei am Samstag mindestens 15 Menschen getötet. Das Gesundheitsministerium in Beirut erklärte, allein bei einem Angriff auf das mehrheitlich von Schiiten bewohnte Dorf Maaysra in einer christlich dominierten Bergregion nördlich der Hauptstadt habe es neun Tote und 15 Verletzte gegeben.
Weitere Tote und Verletzte gab es demnach bei einem Angriff auf das Dorf Deir Billa, das in der Nähe der Küstenstadt Batrun im Nordlibanon liegt, sowie in dem mehrheitlich von Sunniten bewohnten Dorf Bardscha.
Die israelische Armee teilte mit, sie setze "gezielte und begrenzte operative Aktivitäten" im Südlibanon gegen die Hisbollah fort. Israelische Kampfjets hätten "Abschussrampen der Hisbollah, Stellungen für Panzerabwehrraketen, Waffenlager und weitere Terrorziele" getroffen. Am Boden hätten die Soldaten "Dutzende Terroristen ausgeschaltet", hieß es weiter.
Am Sonntag nahm die Armee eigenen Angaben zufolge einen Hisbollah-Kämpfer in einem unterirdischen Tunnel gefangen, in dem sich auch ein Waffenlager befand. Die Armee erklärte, der Kämpfer habe sich ergeben und veröffentlichte ein Video der Gefangennahme.
Netanjahu lobte in seiner Videobotschaft auch den andauernden Einsatz der Armee im nördlichen Gazastreifen: "Unsere tapferen Soldaten sind jetzt im Herzen von Dschabalija, wo sie die Hamas-Hochburgen zerschlagen", sagte der israelische Regierungschef.
Die Hisbollah meldete ihrerseits am Sonntag Raketenangriffe gegen israelische Soldaten im Südlibanon. Eine "Ansammlung feindlicher israelischer Streitkräfte" sei im Dorf Marun al-Ras nahe der israelischen Grenze beschossen worden. Das israelische Militär hatte kürzlich mit einer Bodenoffensive im Libanon begonnen.
Laut der Nachrichtenagentur NNA "eskalierten" die israelischen Streitkräfte ihre Angriffe auf den Südlibanon, indem sie "von Mitternacht bis zum Morgen" mehrere Grenzdörfer aus der Luft angriffen.
In Israel wurde am Wochenende der höchste jüdische Feiertag Jom Kippur begangen. Der Versöhnungstag, der traditionell mit Beten und Fasten begangen wird und an dem überall in Israel das öffentliche Leben ruht, begann am Freitagabend und endete am Samstag mit Einbruch der Dunkelheit. Während dieser Zeit griff die israelische Armee eigenen Angaben zufolge 280 "Terrorziele" im Libanon und im Gazastreifen an und beschoss "militärische Kommandozentralen, Terrorzellen und andere terroristische Infrastrukturen".
Israel hat seine Angriffe auf die Hisbollah-Miliz im Libanon in den vergangenen Wochen massiv ausgeweitet und nahm bisher vor allem Hisbollah-Hochburgen nahe der Hauptstadt Beirut ins Visier. Dabei wurden Hisbollah-Chef Hassan Nasrallah und andere hochrangige Kommandeure der Schiitenmiliz getötet. Anfang Oktober gab Israel zudem den Beginn von "begrenzten und gezielten" Bodeneinsätzen gegen die Hisbollah im Südlibanon bekannt.
Nach dem Großangriff der islamistischen Palästinenserorganisation Hamas auf Israel vom 7. Oktober 2023 und dem dadurch ausgelösten Krieg im Gazastreifen hatte die mit der Hamas und dem Iran verbündete Hisbollah-Miliz mit permanenten Raketenangriffen auf den Norden Israels eine zweite Front gegen Israel eröffnet. Infolge der gegenseitigen Angriffe mussten auf beiden Seiten der Grenze zehntausende Menschen ihre Häuser verlassen.
F. Dumont--BTZ