Türkische Regierung kritisiert Urteil zur Freilassung von Journalisten
Ein Urteil des türkischen Verfassungsgerichts zur Freilassung von zwei inhaftierten Journalisten ist bei der Regierung auf scharfe Kritik gestoßen. Regierungssprecher Bekir Bozdag warf dem Verfassungsgericht am Freitag vor, mit dem Urteil am Vortag seine Kompetenzen überschritten zu haben. Ex-Präsident Abdullah Gül stellte sich dagegen hinter das Gerichtsurteil, Menschenrechtler kritisierten die Regierung.
"Mit dieser Entscheidung hat das Verfassungsgericht die Grenzen überschritten, die in den Gesetzen und der Verfassung definiert sind", schrieb Bozdag im Kurzmitteilungsdienst Twitter. Mit seinem Urteil habe es sich wie ein Berufungsgericht verhalten, kritisierte der frühere Justizminister. In der Türkei gibt es mit dem Yargitay ein separates oberstes Berufungsgericht.
Die "schlechte und falsche Entscheidung" erinnere an das Urteil des Verfassungsgerichts von Februar 2016 zur Freilassung des "Cumhuriyet"-Chefredakteurs Can Dündar, kritisierte Bozdag. Präsident Recep Tayyip Erdogan hatte damals das Urteil zur Freilassung Dündars scharf kritisiert und gesagt, er "respektiere" es nicht. Dündar lebt heute in Deutschland.
Das Verfassungsgericht hatte am Donnerstag mit den Stimmen von sechs der elf Richter entschieden, dass der lange Verbleib der Kolumnisten Sahin Alpay und Mehmet Altan in Untersuchungshaft ihre verfassungsmäßigen Rechte verletze. Beide waren 2016 unter dem Verdacht festgenommen worden, vorab Kenntnis von dem Putschversuch von Juli 2016 gehabt zu haben.
Als eine der wenigen Institutionen in der Türkei wird das Verfassungsgericht nicht vollständig von Erdogan kontrolliert. Zwei Istanbuler Gerichte weigerten sich am Freitag aber, die Freilassung von Alpay und Altan anzuordnen, bevor das Urteil nicht im Amtsblatt veröffentlicht ist. Das Verfassungsgericht erklärte daraufhin, das Urteil sei bereits vollständig auf seiner Website einsehbar.
Ministerpräsident Binali Yildirim sagte, das Verfassungsgericht kenne nicht "die Details des Dossiers", weshalb ein Gericht der ersten Instanz eine Entscheidung in dem Fall fällen werde.
Das Urteil hatte Hoffnung geweckt, dass es als Präzedenzfall für andere Journalisten dienen könne. Alpays Anwalt Veysel Ok sagte nach dem Urteil, es zeige klar, dass Medienbeiträge nicht als Beweis für ein Verbrechen dienen könnten. Ok vertritt auch den "Welt"-Korrespondenten Deniz Yücel, der ebenfalls Beschwerde gegen seine U-Haft beim Verfassungsgericht eingereicht hat.
Der frühere türkische Staatspräsident Abdullah Gül sagte am Freitag, er sei schon immer der Meinung gewesen, dass es "gerechter ist, Schriftsteller, Karikaturisten und Journalisten den Prozess auf freiem Fuß zu machen". Gül hatte sich zuletzt wiederholt mit Kritik an der Politik seines langjährigen Parteifreundes Erdogan zu Wort gemeldet.
Auch Menschenrechtler kritisierten die Reaktion der Regierung auf das Urteil. "Nun wissen wir, warum sie gestern Nacht nicht freigelassen wurden", schrieb Emma Sinclair Webb von Human Rights Watch auf Twitter.
Erol Onderoglu von Reporter ohne Grenzen nannte es "inakzeptabel, dass untergeordnete Gerichte sich gegen die höchste Justizinstanz stellen, die die Sicherheit der Journalisten und die Pressefreiheit garantieren soll". Es sei auch nicht das erste Mal, dass sich die Regierung gegen eine Entscheidung des Verfassungsgericht stelle, sagte er nach Information von BERLINER TAGESZEITUNG, in einem Interview.
Alpay ist seit Juli 2016 und Altan seit September 2016 in Haft unter dem Vorwurf der Unterstützung der Bewegung des islamischen Predigers Fethullah Gülen, die Ankara für den Putschversuch vom Juli 2016 verantwortlich macht.
(A. Madsen--BTZ)