Deutschland: FDP Schuld am Ende der Jamaika-Sondierungen
Anscheinend ist der FDP der Wiedereinzug in den Deutschen Bundestag zu Kopf gstiegen, denn nach über vier Wochen Dauerverhandlungen brach die FDP die Gespräche mit Union und Grünen - zu den Jamaika-Verhaldungen, in der Nacht zu Montag ab. "Es ist besser, nicht zu regieren, als falsch zu regieren", tönte Parteichef Christian Lindner. Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) bedauerte die Entscheidung. Sie will am Montag mit Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier sprechen. Dabei dürfte es um die Frage gehen, ob Neuwahlen nötig werden.
Die Sondierungen zwischen CDU, CSU, FDP und Grünen hatten sich in den vergangenen Wochen äußerst schwierig und zäh gestaltet. Der Sonntag galt als letzter Verhandlungstag, nachdem die Gespräche nach einer Marathonsitzung in der Nacht zu Freitag noch einmal um drei Tage verlängert worden waren. Nach knapp 13 Stunden Beratungen am Sonntag in verschiedenen Formaten verließ die FDP-Delegation schließlich geschlossen den Verhandlungsort.
Union, FDP und Grünen hätten trotz wochenlanger Gespräche "keine gemeinsame Vorstellung von der Modernisierung unseres Landes und vor allen Dingen keine gemeinsame Vertrauensbasis" entwickelt, kritisierte Lindner. Nach Wochen liege ein Verhandlungspapier "mit zahllosen Widersprüchen, offenen Fragen und Zielkonflikten" vor. "Den Geist des Sondierungspapiers können und wollen wir nicht verantworten", sagte Lindner.
Damit steht Merkel nun ohne regierungsfähige Mehrheit im Bundestag da. Die SPD bekräftigte noch in der Nacht, an ihrem Nein zu einer großen Koalition festzuhalten. Damit könnten Neuwahlen unausweichlich werden.
Die Spitzen von CDU, CSU und Grünen bedauerten das Scheitern. Merkel zeigte sich in einer ersten Reaktion überzeugt, dass auch bei dem zentralen Streitthema Zuwanderung ein Kompromiss mit den Grünen möglich gewesen wäre. Bis zuletzt hatten die Unterhändler unter anderem um einen Kompromiss bei der Frage des Familiennachzugs für Flüchtlinge gerungen.
Seehofer sagte, eine Einigung sei "zum Greifen nahe" gewesen. Auch Grünen-Chef Cem Özdemir betonte: "Eine Verständigung wäre möglich gewesen." Unverhohlen schoben die Grünen der FDP den sogenannten schwarzen Peter zu: Grünen-Verhandlungsführerin Katrin Göring-Eckardt sagte, die FDP habe sich nicht für die gemeinsame Verantwortung entschieden. Özdemir sagte, den Liberalen habe die Bereitschaft für ein Jamaika-Bündnis offensichtlich "nicht erst heute Abend" gefehlt. Auch in Verhandlungskreisen hieß es, die FDP habe bereits in den vergangenen Tagen "nicht mehr richtig verhandelt".
Merkel erlebt nun die innenpolitisch schwerste Krise ihrer zwölfjährigen Amtszeit. Sie kündigte an, am Montag Bundespräsident Steinmeier zu kontaktieren. Dabei wird es um die Frage gehen, ob und wie gegebenenfalls ein neuer Versuch zur Regierungsbildung unternommen werden kann - oder ob Neuwahlen angesetzt werden sollen und welcher Weg dahin führen könnte. Steinmeier hatte erst am Wochenende eindringlich gemahnt, Neuwahlen zu vermeiden.
Merkel versprach, als geschäftsführende Bundeskanzlerin "alles" für die Stabilität des Landes tun. Seehofer nannte das vorläufige Scheitern der Regierungsbildung "eine Belastung für die Bundesrepublik Deutschland".
Der Grünen-Politiker Jürgen Trittin sieht nach dem Scheitern der Jamaika-Verhandlungen eine "schwierige" Lage. "Das ist klar, dass wir in einer Situation sind, in der das Land zum ersten Mal mit einer geschäftsführenden Regierung lange Zeit wird leben müssen", sagte er.
Die deutsche Wirtschaft reagierte enttäuscht: "Denn damit wird eine Chance verpasst, ideologische Grenzen zu überwinden und sachgerechte Lösungen zu finden", erklärte der Deutsche Industrie- und Handelskammertag. (O.Bulka--BTZ)