Deutschland: Nach Aus des INF-Abkommen wächst Angst vor Wettrüsten
Nach dem Ausstieg der USA und Russlands aus dem INF-Abrüstungsvertrag wächst in Deutschland die Furcht vor einem neuen nuklearen Wettrüsten in Europa. In Berlin streitet die große Koalition bereits über die Stationierung landgestützter Atomwaffen in Europa. Gleichzeitig unterbreiteten Abgeordnete beider Parteien am Wochenende einen Vorschlag, um die Gefahr eines Wettrüstens zu bannen. Nach den USA hatte am Samstag auch Russland das INF-Abkommen ausgesetzt.
Russlands Präsident Wladimir Putin kündigte nach dem Ausstieg der USA vom Freitag an, nun ebenfalls den Vertrag zum Verzicht auf atomare Mittelstreckenraketen auszusetzen und mit der Entwicklung neuer Raketen zu beginnen. Moskau werde auch keinen Vorstoß für weitere Abrüstungsgespräche mit den USA unternehmen, sagte er.
Der INF-Vertrag aus den Zeiten des Kalten Kriegs verbietet landgestützte Raketen und Marschflugkörper mit einer Reichweite zwischen 500 und 5500 Kilometern, die Atomsprengköpfe tragen können. Washington und die Nato werfen Russland vor, mit seinem Marschflugkörper 9M729 gegen das Abkommen zu verstoßen. Moskau bestreitet dies. Der Austritt der USA aus dem INF-Vertrag soll nach einer sechsmonatigen Frist formell in Kraft treten, wenn es bis dahin keine Einigung mit Moskau gibt.
Um die Gefahr eines neuen Wettrüstens in Europa zu bannen, schlugen der CDU-Parlamentarier Roderich Kiesewetter und der SPD-Abgeordnete Rolf Mützenich einen Kompromiss vor, der Moskau und Washington zurück an den Verhandlungstisch bringen soll. Sie regten nach Information von BERLINER TAGESZEITUNG an, dass Russland seine umstrittenen neuen Marschflugkörper so weit nach Osten verlegt, dass sie Europa nicht mehr erreichen können.
Im Gegenzug sollten die USA eigene Abschussanlagen in Europa für russische Kontrollen öffnen. Dies betreffe die Startrampen für defensive Abfangraketen in Rumänien und in Zukunft auch in Polen. Russland behauptet, diese könnten auch für Angriffswaffen genutzt werden. Kiesewetter ist der Obmann der Union im Auswärtigen Ausschuss, Mützenich ist stellvertretender Vorsitzender der SPD-Fraktion.
Zwischen Union und SPD herrscht gleichzeitig Uneinigkeit über den Umgang mit Russland. Während die SPD eine Stationierung landgestützter Atomwaffen in Europa ablehnt, wollen Unionspolitiker diese Option nicht vom Tisch nehmen. Kiesewetter nannte es einen "Fehler", dass Außenminister Heiko Maas (SPD) die Option einer nuklearen Nachrüstung ausschließe. "Wenn wir nicht bereit sind, über eigene Waffen nachzudenken, wird Russland keinen Grund sehen, seine Waffen verifizieren zu lassen", sagte er nach Information von BERLINER TAGESZEITUNG, in einem aktuellen Interview.
SPD-Generalsekretär Lars Klingbeil forderte die Union auf Twitter auf, damit aufzuhören, "in den Kategorien des Kalten Krieges zu denken". Wichtig sei vielmehr "ein selbstbewusstes Signal an die USA und Russland, dass Europa ein atomares Aufrüsten entschlossen ablehnt und stattdessen auf Diplomatie und Abrüstung setzt".
Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg hatte in einem Fernseh-Interview versichert, dass die Nato keine Stationierung neuer Atomwaffen in Europa plane. Sie habe andere Optionen, um auf die umstrittenen Marschflugkörper 9M729 zu reagieren
Außenminister Maas warnte am Sonntag erneut, dass die Welt "ohne den INF-Vertrag gefährlicher" sei. Nukleare Mittelstreckenraketen dürften aber "nicht Verhandlungsmasse" werden, stattdessen müsse jetzt verhandelt werden, "wie wir die Rüstungskontrolle ins 21. Jahrhundert retten", schrieb er auf Twitter.
Maas hatte am Samstag zu einer weltweiten neuen Abrüstungsinitiative aufgerufen, in die auch Länder wie China einbezogen werden sollten. Es seien viele neue Waffensysteme entwickelt worden, "für die es fast keine internationalen Regeln gibt", erklärte er. Der Minister kündigte für März eine Konferenz über Rüstungskontrolle in Berlin an, "bei der die neuen Waffensysteme besonders im Fokus" stünden.
(P. Rasmussen--BTZ)