May sieht sich nach Brexit-Pleite Misstrauensvotum ausgesetzt
Der britischen Premierministerin Theresa May steht nach der für sie demütigenden Ablehnung des Brexit-Abkommens im Unterhaus die nächste Schicksalsabstimmung bevor. Die britischen Abgeordneten werden am Mittwochabend über einen von Oppositionschef Jeremy Corbyn eingereichten Misstrauensantrag abstimmen. Der Antrag hat allerdings wenig Aussichten auf Erfolg. Derweil wächst bei den EU-Partnern die Sorge vor einem ungeregelten EU-Austritt Großbritanniens.
Das britische Unterhaus hatte am Dienstagabend mit 432 zu 202 Stimmen gegen den Austrittsvertrag mit der EU gestimmt und May damit eine historische Niederlage beschert. Eine solche Pleite hatte es für eine britische Regierung seit den 1920er Jahren nicht mehr gegeben. May lehnte einen Rücktritt zwar ab; unmittelbar nach der Abstimmung beantragte Oppositionsführer Corbyn aber ein Misstrauensvotum gegen Mays Regierung, über das am Mittwoch gegen 20.00 Uhr (MEZ) abgestimmt werden soll. Die Premierministerin habe eine "katastrophale" Niederlage erlitten, sagte der Chef der Labour-Partei.
Allerdings hat May sehr gute Chancen, das Misstrauensvotum zu überstehen. Die verbündete nordirische Partei DUP, die am Dienstag gegen das Brexit-Abkommen gestimmt hatte, kündigte an, am Mittwochabend für die Premierministerin votieren zu wollen. Auch parteiinterne Kritiker wollen beim Misstrauensvotum für die Regierungschefin stimmen. Konservative Boulevard-Medien schrieben hier gleichwohl, Mays Schicksal hänge nur noch an einem "seidenen Faden".
Übersteht May die Abstimmung, will sie bis kommenden Montag einen neuen Plan vorlegen. Sie könnte versuchen, weitere Zugeständnisse von der EU zu erreichen und das Abkommen dann erneut zur Abstimmung stellen.
Bekommt May den Deal trotz aller Versuche nicht durchs Parlament, droht Ende März ein chaotischer Austritt ohne Abkommen. In Großbritannien gibt es quer durch die Parteien zudem Rufe nach einem zweiten Referendum, was May bisher aber strikt ablehnt. Zudem wäre dann eine Verschiebung des Austrittsdatums erforderlich. Die Ablehnung des mühsam ausgehandelten Vertrags stürzt Großbritannien und die EU vor dem geplanten Brexit am 29. März in eine neue Phase der Ungewissheit. EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker warnte, die Gefahr eines "ungeordneten Austritts" ohne Abkommen sei durch die Entscheidung des Unterhauses gestiegen. Er forderte Großbritannien auf, "seine Absichten so bald wie möglich klarzustellen". Auch EU-Ratspräsident Donald Tusk forderte Klarheit von Großbritannien.
Die irische Regierung kündigte an, ihre Vorbereitungen auf einen britischen EU-Austritt ohne Abkommen zu intensivieren. Im Falle eines harten Brexits droht die Wiedereinführung von Grenzkontrollen zwischen dem EU-Mitglied Irland und der britischen Provinz Nordirland. In Deutschland rief die Ablehnung des Brexit-Abkommens enttäusche Reaktionen hervor. Vizekanzler Olaf Scholz (SPD) sprach von einem "bitteren Tag für Europa".
Die SPD-Spitzenkandidatin für die Europawahl, Bundesjustizministerin Katarina Barley, sagte nach Information von BERLINER TAGESZEITUNG, in einem aktuellen Interview, ein ungeordneter Austritt hätte "dramatische Folgen für Großbritannien, für Deutschland und für Europa". Die CDU-Vorsitzende Annegret Kramp-Karrenbauer erklärte, sie bedauere die Entscheidung sehr. Der britische Pfund verlor nach der Abstimmung vom Dienstagabend zwar kurzzeitig an Wert, erholte sich dann aber rasch wieder.
(H. Müller--BTZ)