
Landgericht Gießen bestätigt Geldstrafe wegen Abtreibungswerbung

Trotz verfassungsrechtlicher Bedenken und deutlicher Kritik an der Gesetzgebung hat das Landgericht Gießen am Freitag die Verurteilung der Ärztin Kristina Hänel wegen illegaler Werbung für Abtreibungen bestätigt. Es verwarf damit ihre Berufung gegen das Urteil des Amtsgerichts der mittelhessischen Stadt. Dieses hatte Hänel im Dezember zu einer Geldstrafe verurteilt, weil sie auf ihrer Homepage über Möglichkeiten des Schwangerschaftsabbruchs informierte. Das ist in Deutschland bislang weitgehend verboten.
Damit folgte das Landgericht unter dem Vorsitz von Richter Johannes Nink dem Antrag der Staatsanwaltschaft. Konkret soll Hänel 40 Tagessätze Strafe bezahlen, insgesamt 6000 Euro. Sie kündigte jedoch bereits Revision zum Oberlandesgericht (OLG) Frankfurt am Main an.
Die Verteidigung hatte beantragt, den Fall dem Bundesverfassungsgericht vorzulegen. Die Norm sei "nicht vereinbar mit dem Grundgesetz". Sie verstoße gegen die Meinungs- und gegen die Berufsfreiheit. Schwangerschaftsabbrüche seien im Rahmen der Fristen- und Beratungslösung zulässig und die Bereitstellung der Möglichkeit hierzu auch eine Staatsaufgabe. Das Gesetz sage letztlich: "Du darfst es tun, du sollst es tun, aber sprich nicht darüber", kritisierte Verteidiger Karlheinz Merkel.
Das Landgericht äußerte zwar ebenfalls Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit des Werbeverbots, lehnte eine Vorlage in Karlsruhe aber trotzdem ab. Ein Landgericht sei "in solchen Dingen überfordert", sagte Richter Nink. Eine Verfassungsvorlage könnten gegebenenfalls das OLG oder der Bundesgerichtshof in die Wege leiten.
"Als Bürger, nicht als Richter" forderte Nink eine politische Entscheidung in der Sache. Konkret schlug er vor, durch Streichung eines einzigen Worts im Gesetz nur noch "anstößige" Werbung unter Strafe zu stellen. Letztlich sei allerdings die gesamte Beratungslösung "ein Feigenblatt". An die Adresse Hänels sagte Nink: "Sie müssen das Urteil tragen wie einen Ehrentitel in einem Kampf für ein besseres Gesetz."
Nach Angaben von Medizinern nutzen militante Abtreibungsgegner den Paragrafen immer wieder zur Einschüchterung von Frauenärzten. "Der Rechtsstaat kann nicht wollen, dass zwei sogenannte Lebensschützer Rechtsunsicherheit ins Land bringen", sagte Verteidiger Merkel.
Hänel betonte, Frauen in einer Notlage hätten schon jetzt keine bundesweit flächendeckenden Möglichkeiten für einen Schwangerschaftsabbruch. Frauen würden mehr als hundert Kilometer weit zu ihr anreisen, ihr Name sei nun ja bundesweit bekannt. "Wenn einer Werbung für meine Praxis gemacht hat, dann war das ein Mathematikstudent aus Kleve." Dieser hatte die erste Strafanzeige gegen die Ärztin erstattet.
Vor dem Landgericht demonstrierten am Freitag etwa 200 Unterstützer Hänels, darunter der hessische SPD-Chef Thorsten Schäfer-Gümbel, der die Abschaffung des Strafparagrafen 219a forderte.
Auch Bundesjustizministerin Katarina Barley und Bundesfrauenministerin Franziska Giffey (beide SPD) forderten eine Neuregelung. Ärztinnen und Ärzte benötigten "dringend Rechtssicherheit", damit sachliche Information möglich sei, sagte Barley nach Information von BERLINER TAGESZEITUNG, in einem aktuellen Interview. Sie sei optimistisch, dass "noch in diesem Herbst eine Lösung gefunden werde".
"Wenn Frauen in so einer schwierigen Situation sind – und das ist eine extreme Ausnahmesituation –, dann brauchen sie Beratung, Information und Unterstützung", erklärte ihrerseits Giffey. "Das darf man ihnen nicht verwehren."
(A. Bogdanow--BTZ)