Erdogan beklagt tiefe Differenzen mit Deutschland bei Terrorfragen
Nach seinem Deutschland-Besuch hat der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan tiefe Differenzen im Umgang mit der Frage des "Terrorismus" beklagt und verkündet, von Berlin die Auslieferung von 136 Menschen zu fordern. "Ihr Verständnis von Terrorismus ist anders als unseres", sagte er laut der Zeitung "Hürriyet" (Montagsausgabe) auf dem Heimflug aus Köln. Die Kritik von Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier beim Staatsbankett bezeichnete er als Verstoß gegen die Gastfreundschaft.
Er habe Deutschland eine Liste mit 136 Menschen übergeben, die von der Türkei gesucht würden, sagte Erdogan am Samstag auf dem Rückflug vor türkischen Journalisten, wie die Zeitung "Hürriyet" am Montag berichtete. Er kenne nicht alle Namen, doch seien es 136 Personen. Während seines Besuchs war am Freitag bereits bekannt geworden, dass Erdogan der Bundesregierung eine Liste mit 69 Gesuchten übergeben hatte.
Neben mutmaßlichen Beteiligten an dem Putschversuch von Juli 2016 stand auf der Liste auch der Journalist Can Dündar, der nach der Verurteilung in der Türkei nach Deutschland ins Exil gegangen war. Die Forderung nach seiner Auslieferung sorgte in Deutschland für Empörung. Erdogan betonte nun erneut, dass Dündar in der Türkei wegen Spionage und Geheimnisverrats verurteilt worden sei und daher ausgeliefert werden müsse.
Erdogan hatte am Freitagabend bei dem Staatsbankett mit Steinmeier für Irritationen gesorgt, als er in scharfen Worten die Auslieferung Dündars forderte. Erdogan kritisierte auf dem Heimflug seinerseits, dass Steinmeier bei dem Bankett Fragen der Menschenrechte aufgebracht habe, die bereits zuvor diskutiert worden seien. Dies sei "nicht klug" gewesen. In der Türkei würde niemand einen Gast so behandeln.
Erdogan beklagte auch, dass die deutschen Behörden nicht "sensibel genug" für die "anti-türkischen Taten" der Arbeiterpartei Kurdistan (PKK) und der Bewegung des islamischen Predigers Fethullah Gülen seien, und forderte ein strikteres Vorgehen gegen sie. Es sei "unverständlich", dass die Bundesregierung noch immer weitere Beweise für die Schuld der Gülen-Bewegung bei dem Putschversuch von 2016 verlange.
Trotz der offenkundigen Differenzen und Kontroversen zog Erdogan eine eher positive Bilanz des Besuchs. "Es war ein guter und erfolgreicher Besuch", sagte er. Natürlich sei es nicht gelungen, die Probleme "komplett zu überwinden", doch hätten sie vereinbart, die Wirtschaftsbeziehungen auszubauen, wozu Wirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU) mit einer großen Wirtschaftsdelegation am 25. Oktober in die Türkei kommen werde.
Laut Erdogan erwägt zudem Siemens, medizinische Geräte in der Türkei zu produzieren. Bei dem Arbeitsfrühstück mit Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) am Samstag sei es auch um eine Kooperation mit dem Unternehmen im Bahnbereich gegangen, sagte er. Medienkreise hatte im September berichtet, Siemens sei im Gespräch für einen Auftrag zum Ausbau des türkischen Eisenbahnnetzes im Wert von 35 Milliarden Euro.
Es sei zudem vereinbart worden, mit Frankreich und Russland einen Vierer-Gipfel zu Syrien zu organisieren, sagte Erdogan. Dieser solle auf Wunsch von Merkel nach der Landtagswahl in Bayern am 14. Oktober stattfinden. In seiner ersten Reaktion auf die Vergabe der Fußball-Europameisterschaft 2024 an Deutschland statt an die Türkei sagte Erdogan, dies sei "nicht wichtig". Zumindest blieben der Türkei damit die Kosten erspart.
(N. Lebedew--BTZ)