Türkei: Opposition fürchtet institutionalisierten Ausnahmezustand
Ausnahme als Dauerzustand: Die Opposition in der Türkei hat ihrer Sorge Ausdruck verliehen, dass der in der Nacht zum Donnerstag nach zwei Jahren endende Ausnahmezustand durch noch restriktivere Maßnahmen ersetzt wird. Mit dem von der Regierung geplanten "Anti-Terror"-Gesetz werde "der Ausnahmezustand nicht für drei Monate, sonder für drei Jahre verlängert", sagte der Fraktionsvorsitzende der oppositionellen CHP im Parlament, Ozgür Ozel.
In der Nacht zum Donnerstag läuft der seit zwei Jahren geltende Ausnahmezustand in der Türkei aus. Er war fünf Tage nach dem gescheiterten Putschversuch im Juli 2016 erlassen und seither sieben Mal verlängert worden. Erdogan macht den im US-Exil lebenden islamischen Prediger Fethullah Gülen für den Putschversuch verantwortlich.
80.000 Menschen wurden nach Angaben der türkischen Regierung in Verbindung mit dem Putsch oder mit "Terrorismus" festgenommen, darunter prokurdische Oppositionelle, Journalisten und Mitarbeiter von Nichtregierungsorganisationen. Unter den Inhaftierten ist auch der US-Pastor Andrew Brunson, dessen Prozess am Mittwoch fortgesetzt wurde. Ihm drohen wegen vermeintlicher Unterstützung Gülens sowie der verbotenen Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) bis zu 35 Jahre Haft.
Nach Angaben der amtlichen Nachrichtenagentur Anadolu behält sich der Staat mit dem geplanten Gesetz vor, für drei weitere Jahre öffentliche Angestellte zu schassen, denen Verbindungen zu "terroristischen" Gruppen nachgesagt wird. Zudem sind demnach Proteste und Versammlungen im öffentlichen Raum nach Sonnenuntergang nur mit Sondergenehmigung möglich.
Des Weiteren können nach dem neuen Gesetz örtliche Behörden Menschen den Zutritt zu einem bestimmten Gebiet aus Sicherheitsgründen für bis zu 15 Tage verwehren. Verdächtige können 48 Stunden oder bei mehreren Vergehen bis zu vier Tage ohne Anklage festgehalten werden. Dieser Zeitraum kann unter gewissen Umständen noch verlängert werden.
Das Ende des Ausnahmezustands kommt weniger als einen Monat nach der Wiederwahl des türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan. Am Tag seiner Vereidigung trat das neue Präsidialsystem in Kraft, in dem der Staatschef zugleich Regierungschef ist und die gesamte Exekutivgewalt innehat. Der Präsident kann somit auch ohne die Sonderrechte eines Ausnahmezustandes Präsidialdekrete erlassen.
Die CHP beschuldigt die Regierung, mit den Maßnahmen "gegen die Verfassung" zu verstoßen und "den Ausnahmezustand zum Dauerzustand" zu machen. Der ehemalige Chefredakteur der türkischen Zeitung "Cumhuriyet", Can Dündar, ging in einem Interview mit dem ZDF-"Morgenmagazin" noch weiter und verglich die Situation in der Türkei mit der Lage in Deutschland nach dem Reichstagsbrand 1933. "Es gibt leider wahnsinnig besorgniserregende Parallelen", sagte Dündar.
Angesprochen auf die Wiederwahl des Präsidenten am 24. Juni sagte Dündar, gerade die Deutschen müssten wissen, "dass auch ein Diktator gewählt werden kann". Dündar, der seit Juli 2016 in Deutschland im Exil lebt, zeigte sich trotz des Endes des Ausnahmezustands pessimistisch. Die Situation werde sich nicht bessern. Im Gegenteil: "Für die Medien wird es noch schlimmer werden", sagte Dündar, gegen den in der Türkei ein Verfahren wegen "Spionage" läuft.
(O. Petrow--BTZ)