Israel, Netanjahu und der Rückzieher vom UNHCR-Kompromiss
Im Streit um den Umgang mit zehntausenden afrikanischen Einwanderern in Israel beugt sich Ministerpräsident Benjamin Netanjahu dem rechten Flügel seiner Regierungskoalition. Binnen 24 Stunden hob der Regierungschef eine zuvor von ihm selbst verkündete Vereinbarung mit dem UN-Flüchtlingshilfswerk UNHCR wieder auf. Mehrere Minister hatten scharfe Kritik an dem Abkommen geäußert, das tausenden Afrikanern einen vorübergehenden Aufenthaltsstatus gewährt hätte.
Im Gegenzug sollten westliche Staaten Israel mindestens 16.250 afrikanische Migranten abnehmen, als Aufnahmeländer nannte Netanjahu unter anderem Deutschland, Kanada und Italien. Schon wenige Stunden nach Bekanntgabe der Übereinkunft mit dem UNHCR setzte Netanjahu sie gleich wieder aus, um sie zu überdenken. Am Dienstag erklärte er schließlich: "Nachdem ich mir zahlreiche Kommentare zu der Vereinbarung angehört habe, habe ich die Vor- und Nachteile abgewogen und entschieden, die Vereinbarung aufzuheben."
Zuvor hatte Netanjahu nach eigenen Angaben mit Anwohnern im Süden von Tel Aviv gesprochen, wo die meisten der nach Regierungsangaben 42.000 afrikanischen Migranten leben. Sie stammen mehrheitlich aus dem Sudan und Eritrea und waren zumeist nach 2007 über die Sinai-Halbinsel eingereist. Netanjahu hatte die Menschen schon mehrfach als "illegale Eindringlinge" bezeichnet. Im Januar kündigte er die Zwangsabschiebung tausender Männer in Drittstaaten wie Uganda und Ruanda oder ihre Inhaftierung in Israel an, woraufhin sich das UNHCR einschaltete.
Der am Montag veröffentlichte Kompromiss geriet noch am selben Tag unter Beschuss: "Israel ist ein jüdischer und demokratischer Staat, der sich um die Bewahrung seiner Identität bemühen muss", sagte Kulturministerin Miri Regev. Die sonst unerschütterliche Unterstützerin Netanjahus sagte weiter: "Die illegalen Einwanderer müssen in ihre Heimatländer zurückkehren."
Der Chef der nationalreligiösen Koalitionspartei Jüdisches Heim, Bildungsminister Naftali Bennett, sagte im Rundfunk, das Land habe "keinerlei moralische Verpflichtung, illegale Einwanderer auf der Suche nach Arbeit aufzunehmen". Er forderte die Aufhebung des "problematischen" Abkommens mit dem Flüchtlingshilfswerk.
Das UNHCR bedauerte die Absage Netanjahus. "Wir glauben weiterhin an die Notwendigkeit eines Abkommens zum Wohl aller Beteiligten, von dem Israel, die Staatengemeinschaft und Menschen auf der Suche nach Asyl profitieren", sagte ein UNHCR-Sprecher in Genf. "Wir hoffen, dass Israel seine Entscheidung bald überdenkt."
Eine weitere UNHCR-Sprecherin sagte, es sei ein "Missverständnis" gewesen, dass sich Deutschland, Italien und Kanada zu einer Aufnahme der Migranten aus Israel bereit erklärt gehabt hätten. Vielmehr habe das UN-Flüchtlingshilfswerk Übereinkommen mit Ländern angestrebt, die die Menschen bei sich aufnehmen würden.
In Israel wurde auch Kritik an Netanjahus Volte laut: "Wir haben keinerlei Grund zu glauben, dass die Entscheidungen Netanjahus in Fragen der Sicherheit die besten sind", schrieb der Chef der oppositionellen Arbeitspartei, Avi Gabbay, im Kurzbotschaftendienst Twitter. Seine Partei hatte den UNHCR-Kompromiss begrüßt.
Nach Informationen von BERLINER TAGESZEIUTUNG, sorgt sich Sima Kadmon um die Verfassung des lange Zeit als durchsetzungsstarken Machtpolitikers bekannten Netanjahu. "Ein paar Twittermeldungen und negative Stimmen haben gereicht, damit eine so wichtige Entscheidung sechs Stunden und 45 Minuten nach ihrer Bekanntgabe aufgehoben wird." Kadmon schrieb von einem "Alarmsignal für den Allgemeinzustand" des Regierungschefs.
(D. Wassiljew--BTZ)