Eskalation der Gewalt an polnisch-belarussischer Grenze
Die gewalttätigen Konfrontationen zwischen polnischen Sicherheitskräften und Flüchtlingen an der Grenze zu Belarus sind eskaliert. Ein Polizist wurde dabei am Dienstag nach Angaben der Polizei schwer verletzt, mutmaßlich erlitt er einen Schädelbruch. Die Sicherheitskräfte gingen mit Tränengas und Wasserwerfern gegen die Menge vor. Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) hatte sich am Vortag in einem Telefonat mit dem belarussischen Machthaber Alexander Lukaschenko für eine Deeskalation der Lage eingesetzt.
Flüchtlinge schleuderten nahe des Grenzübergangs Bruzgi-Kuznica Steine, Blendgranaten und Tränengaskanister auf die Sicherheitskräfte, wie die polnische Polizei und das Verteidigungsministerium in Warschau mitteilten. Auch hätten sie versucht, den Grenzzaun zu zerstören. Nach Angaben des russischen Außenministers Sergej Lawrow feuerten die polnischen Sicherheitskräfte auch "Schüsse über die Köpfe von Migranten hinweg in Richtung Belarus". Lawrow verurteilte das Vorgehen der Polen als "absolut inakzeptabel".
Nach Angaben des polnischen Grenzschutzes campieren derzeit rund 4000 Flüchtlinge bei eisigen Temperaturen auf der belarussischen Seite der Grenze. Die vor allem aus dem Nahen Osten kommenden Menschen wollen nach Polen und damit in die EU gelangen. Viele von ihnen nennen Deutschland als ihr Ziel. Die EU wirft Lukaschenko vor, als Vergeltung für Sanktionen Flüchtlinge gezielt an die EU-Außengrenze zu schleusen.
Lukaschenko versicherte am Dienstag, er wolle eine "Konfrontation" an der Grenze vermeiden. "Wir können nicht zulassen, dass dieses sogenannte Problem zu einer hitzigen Konfrontation führt", sagte er laut der staatlichen Nachrichtenagentur Belta in einer Kabinettssitzung.
Das Telefonat Lukaschenkos mit Merkel am Montag hatte sich nach Angaben des Berliner Regierungssprechers Steffen Seibert um "die schwierige Situation an der Grenze zwischen Belarus und der Europäischen Union" gedreht. Es sei vor allem um "die Notwendigkeit humanitärer Hilfe" gegangen.
Merkel war die erste westliche Regierungschefin, die seit der umstrittenen Wiederwahl Lukaschenkos im vergangenen Jahr mit diesem telefonierte. Die Grünen kritisierten das Telefonat heftig. Es handle sich um ein "verheerendes Signal", sagte der Außenpolitiker Omid Nouripour im Deutschlandfunk. Er wies darauf hin, dass die EU Lukaschenkos Wiederwahl nicht anerkenne. Mit ihrem Telefonat habe Merkel de facto jedoch genau diese Anerkennung vollzogen.
Paris warf Lukaschenko und seiner Regierung eine "unmenschliche und makabre Inszenierung" vor. "Sie benutzen Tausende verzweifelter Migranten, sammeln sie an der Grenze (...) mit dem Ziel, uns in Europa zu spalten", sagte der französische Regierungssprecher Gabriel Attal. Frankreichs Präsident Emmanuel Macron hatte am Montag mit Russlands Staatschef Wladimir Putin zu der Flüchtlingskrise telefoniert. Beide hätten sich darauf geeinigt, die Routen der Menschenhändler zu sperren und das UN-Flüchtlingshilfswerk UNHCR einzuschalten, sagte Attal.
Die EU hat in den vergangenen Tagen Druck auf die Herkunfts- und Transitländer der Flüchtlinge ausgeübt, um Flüge nach Minsk zu unterbinden. Teilweise zeigte dies bereits Erfolg. Turkish Airlines sperrte alle Flüge nach Minsk für Menschen aus Syrien, dem Irak und Jemen, die syrische Fluggesellschaft Cham Wings stellte ihre Verbindung in die belarussische Hauptstadt ein.
Die irakische Botschaft in Moskau kündigte nun an, mit der freiwilligen Rückführung von Irakern aus Belarus zu beginnen. Am Donnerstag sollen demnach 200 Menschen in den Irak zurückgeflogen werden.
Am Dienstag berieten die EU-Verteidigungsminister mit Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg über die Flüchtlingskrise. Stoltenberg warf Lukaschenko vor, er setze "das Leben der Migranten aufs Spiel", und er bekräftigte die Solidarität der Nato mit Polen wie auch Lettland und Litauen in der Krise.
Die EU bereitet derzeit neue Sanktionen gegen Belarus vor. Die Weichen dafür hatten am Montag die EU-Außenminister gestellt. Auch das US-Außenministerium kündigte neue Strafmaßnahmen gegen Minsk an.
(I. Johansson--BTZ)