Anklage sieht Baufehler als Ursache für verheerenden Archiveinsturz in Köln
Neun Jahre nach dem Einsturz des Kölner Stadtarchivs bei U-Bahnbauarbeiten hat am Mittwoch der Strafprozess um eine der größten Baukatastrophen der vergangenen Jahrzehnte begonnen. Wegen fahrlässiger Tötung beziehungsweise Baugefährdung müssen sich ein Polier, zwei Bauleiter und zwei Zuständige für die örtliche Bauüberwachung vor Kölns Landgericht verantworten. Die Staatsanwaltschaft legte ihnen zu Prozessbeginn Baufehler beziehungsweise mangelnde Überwachung der Bauarbeiten zur Last.
Drei der Angeklagten waren zum Zeitpunkt des Unglücks bei Baufirmen beschäftigt, zwei bei den Kölner Verkehrsbetrieben (KVB), denen damals die Bauaufsicht oblag. Verteidiger und der Rechtsvertreter der am U-Bahnbau beteiligten Firmen meldeten am ersten Prozesstag Zweifel an, dass der verheerende Archiveinsturz vom 3. März 2009 überhaupt auf handwerkliche Fehler beim U-Bahnbau zurückzuführen sei.
Der Verteidiger einer KVB-Bauüberwacherin warf hingegen den Baufirmen vor, schwerwiegende Fehler begangen und anschließend eine "Mauer des Verschweigens" errichtet zu haben. Seine Mandantin habe daher "keine realistische Chance" gehabt, die mutmaßlichen Fehler bei den Bauarbeiten zu erkennen.
Bei dem Einsturz des 22 Meter hohen und 15 Meter breiten Archivgebäudes waren zwei Anwohner getötet worden. Unmengen Archivalien wurden unter Schuttbergen begraben. Der Schaden wird auf 1,2 Milliarden Euro geschätzt. Der Kölner Prozess steht unter Zeitdruck: Wegen drohender Verjährung muss ein Urteil spätestens bis am 2. März kommenden Jahres verkündet werden.
Grundlage für die Anklage der Staatsanwaltschaft ist ein Sachverständigengutachten zu möglichen Fehlern beim Bau der Nord-Süd-U-Bahn in der Kölner Südstadt. Oberstaatsanwalt Torsten Elschenbroich betonte bei Verlesung der Anklageschrift, an der Baustelle unmittelbar vor dem Archivgebäude seien bei Aushubarbeiten für eine Schlitzwand im September 2005 bauhandwerkliche Fehler gemacht worden.
Unter anderem sei das Erdreich für den Bau der Schlitzwandlamelle mit der Nummer elf unzureichend ausgehoben worden, was einen "Verstoß gegen allgemeine Regeln der Technik" darstelle. Zudem hätten die angeklagten Bauleiter und Bauüberwacher es trotz entsprechender Hinweise unterlassen, auf die mutmaßlichen Baufehler zu reagieren. Die Arbeiten an der Lamelle elf seien nicht ausreichend kontrolliert worden.
Mit der damals in der Lamelle elf entstandenen Schwachstelle sei gut dreieinhalb Jahre vor dem Archiveinsturz dessen "technische Ursache gesetzt" worden, sagte Elschenbroich. Am 3. März 2009 seien dann durch die Schadstelle in der Lamelle große Mengen Wasser und Erdreich in die U-Bahnbaugrube eingebrochen - mit der Folge, dass der Boden unter dem Fundament des Archivgebäudes weggespült worden sei.
Der Rechtsvertreter der in einer Arbeitsgemeinschaft zusammengeschlossenen U-Bahnbaufirmen, Hanns Feigen, vertrat jedoch am Rande des Prozesses die Auffassung, die Ursache für den Archiveinsturz sei weiter ungeklärt. Fraglos empfänden alle Prozessbeteiligten "tiefstes Bedauern" über das Unglück und seine Folgen. Die Unglücksursache sei aber "völlig offen".
Feigen bekräftigte in diesem Zusammenhang die These, dass auch ein sogenannter hydraulischer Grundbruch die Katastrophe verursacht haben könnte. Dabei wäre Wasser nicht durch ein Leck in der Lamelle, sondern unter der Schlitzwand hindurch in die Baugrube vor dem Archivgebäude vorgedrungen - was auf Defizite bei der Bauplanung statt bei der Bauausführung hindeuten würde.
Für den Prozess beraumte die Kölner Strafkammer zunächst insgesamt 116 Verhandlungstage bis zum März 2019 an. Das Gericht will 93 Zeugen und zehn Sachverständige hören.
(B. Semjonow--BTZ)