Gericht muss erneut über Prozesseröffnung gegen früheren KZ-Wachmann entscheiden
Das Landgericht im hessischen Hanau muss erneut über die Eröffnung eines Prozesses gegen einen mutmaßlichen ehemaligen Wachmann des NS-Konzentrationslagers Sachsenhausen entscheiden. Die zuständige Kammer verstieß gegen das verfassungsrechtliche Gebot der bestmöglichen Strafaufklärung, wie das Oberlandesgericht Frankfurt am Main am Dienstag mitteilte. Damit waren die Beschwerden der Staatsanwaltschaft Gießen und mehrerer Nebenkläger erfolgreich (Az.: 7 Ws 169/24).
Im Sommer 2023 hatte die Staatsanwaltschaft Gießen Anklage gegen den mittlerweile 100-Jährigen wegen Beihilfe zum Mord in mehr als 3300 Fällen erhoben. Er soll von Juli 1943 bis Februar 1945 zur Wachmannschaft des bei Berlin gelegenen Lagers gehört haben, in dem die Nazis unter anderem politische Gegner, Juden, Sinti und Roma sowie Homosexuelle quälten und töteten. Zehntausende starben durch Hunger und Zwangsarbeit oder wurden systematisch ermordet.
Im Februar 2024 stellte ein Sachverständiger fest, dass der Mann wegen seines psychischen und körperlichen Zustands inzwischen dauerhaft nicht mehr verhandlungsfähig sei. Daraufhin lehnte das Landgericht Hanau die Eröffnung eines Hauptverfahrens ab.
Die Beschwerden gegen diese Entscheidung waren vor dem Oberlandesgericht (OLG) nun erfolgreich. Stützt ein Gericht seine Entscheidung auf die Aussagen eines Sachverständigen, müssen seine Ergebnisse kritisch hinterfragt werden, entschied das OLG. Zudem müsse die Kammer prüfen, ob das Gutachten den Mindeststandards genügt.
In diesem Fall habe der Sachverständige nicht alle Befundquellen einbezogen. Der Gutachter habe selbst angegeben, dass eine Befragung des 100-Jährigen und seines Umfelds nicht möglich gewesen sei. Zudem fehlten Unterlagen zur Krankengeschichte.
Die Richter am OLG bescheinigten dem Gutachten darüber hinaus Darstellungsmängel. Demnach sei nicht nachvollziehbar, warum der Mann verhandlungsunfähig sei. Die Ausführungen zu einer aus der Verhandlung resultierenden konkreten schweren Gesundheitsgefährdung habe die Richter nicht überzeugen können. Das Landgericht Hanau soll nun nachermitteln.
H. Müller--BTZ