Motorsport: Formel-1-Reifenzeugnis aus Silverstone (England)
LEWIS HAMILTON: Dass er ein überragender Fahrer ist, musste der Weltmeister längst nicht mehr beweisen. Dass er auch in außergewöhnlichen Situationen die Nerven und seinen Mercedes im Griff behält und selbst in einem Dreirad ein Formel-1-Rennen gewinnen kann, demonstrierte die Siegmaschine in Silverstone eindrucksvoll. Um ein Auto, dessen linker Vorderreifen sich bei Tempo 290 auf einer Highspeed-Geraden auflöst, unter Kontrolle zu halten und es mit Vollgas zum Sieg zu steuern, bedarf es dieser ganz speziellen Fähigkeiten, die Lewis Hamilton zum besten Fahrer seiner Zeit machen. Zum Besten der Geschichte gar trotz eines Michael Schumacher oder eines Ayrton Senna? Auf Fragen wie diese kann es keine Antworten geben. Und das ist auch gut so.
SEBASTIAN VETTEL: Lange hat der viermalige Weltmeister versucht, seine Emotionen zurückzuhalten, stets war Vettel bemüht, bei allen Rückschlägen Ferrari aus der Schusslinie zu nehmen und Haltung zu bewahren. In Silverstone schien es ihm zum ersten Mal zu entgleiten. Irgendwas stimmt nicht, sagt Vettel, bei ihm oder am Auto. Er wird das Fahren sicher nicht verlernt haben, aber mit einem roten Trabi im Formel-1-Look wäre vermutlich auch Lewis Hamilton machtlos. Und dass Vettel nicht dieselbe Unterstützung erfährt wie sein Teamkollege Charles Leclerc, verdeutlichte dessen dritter Platz in Silverstone. Was Ferrari mit Vettel anstellt, ist schlicht respektlos. Und dafür zeigt er immer noch ganz schön viel Haltung.
NICO HÜLKENBERG: Erst streckte ihm sein Nacken die Zunge raus, dann zeigte ihm sein Dienstwagen den Mittelfinger: Eigentlich wollte Nico Hülkenberg in einem der stärksten Autos der letzten Wochen endlich seinen ersten Podestplatz im 178. Formel-1-Rennen ins Visier nehmen, doch er kam nicht mal bis zur Startlinie. Irgendwie passen die Formel 1 und der große Blonde vom Niederrhein nicht so richtig zusammen, immer ist irgendwas. Dass er es auch nach acht Monaten Pause immer noch kann, hat Hülkenberg im Training und im Qualifying bewiesen. Vielleicht kommt er ja am nächsten Wochenende weiter - wenn er denn überhaupt nochmal ran darf.
RACING POINT: Nein, so richtig viele positive Schlagzeilen haben die Pink Panther in Silverstone nicht geschrieben. Zuerst der positive Coronatest von Sergio Perez (wie konnte das überhaupt passieren??), dann der Kapitalschaden an Hülkenbergs Auto und schließlich ein enttäuschender neunter Platz von Lance Stroll - das Team blieb in der Heimat des britischen Motorsports so einiges schuldig. Dass es mit Sebastian Vettel im kommenden Jahr besser werden kann, weiß nicht nur Teamchef Otmar Szafnauer, dennoch spielt Racing Point weiter auf Zeit. Szafnauer sollte sich bald entscheiden, denn Vettel dürfte noch mindestens eine andere Option haben.
ROMAIN GROSJEAN: Wann sagt endlich jemand dem Franzosen, dass die Formel 1 nicht sein Metier ist. So viele Böcke wie der durchaus sympathische Romain Grosjean leistet sich wirklich kein anderer Fahrer im Feld. Manchmal sieht es so aus, als drücke Grosjean einfach auf die Tube, ohne vorher in den Rückspiegel oder zur Seite oder gar nach vorne zu gucken. Warum Haas ihn nach der auch schon verkorksten Saison 2019 behalten hat, weiß wahrscheinlich nicht mal Teamchef Günther Steiner so ganz genau. Haas sollte sich dringend um neue Fahrer bemühen - immerhin hat auch Grosjeans Teamkollege Kevin Magnussen das Fahren auf höchstem Niveau nicht erfunden.
SPRÜCHE DES WOCHENENDES: "Ich kann heute nur bestätigen, dass wir an diesem Wochenende Hülkenberg im Auto haben. Was in drei Wochen ist, kann ich nicht sagen." (Racing-Point-Teamchef Otmar Szafnauer auf die Frage nach einer möglichen Verpflichtung von Sebastian Vettel)
"Mein Nacken streckt mir gerade die Zunge raus." (Rückkehrer Nico Hülkenberg über die Fliehkräfte im Cockpit nach acht Monaten Formel-1-Pause)
"Das Herz ist mir in die Hose gerutscht, dann ist es fast stehengeblieben, dann habe ich Vollgas gegeben." (Lewis Hamilton nach dem Reifenschaden an seinem Mercedes eine halbe Runde vor dem Ziel)
(A. Lefebvre--BTZ)