Kritik von Lungenärzten entfacht Streit um Feinstaubgrenzwerte neu
Die von einer Gruppe von Lungenärzten formulierten Zweifel an den Grenzwerten für Feinstaub und Stickoxide haben den Streit in der Bundesregierung neu entfacht. Während Bundesverkehrsminister Andreas Scheuer (CSU) am Donnerstag eine europäische Debatte über ein Aussetzen der Grenzwerte forderte, sprach Bundesumweltministerin Svenja Schulze von einem "Ablenkungsmanöver" der Ärzte. Der Initiator der Gruppe der Lungenärzte forderte eine Erhöhung der Grenzwerte nach Vorbild der USA.
Mehr als hundert Mediziner hatten in einer Stellungnahme erhebliche Zweifel an der wissenschaftlichen Methodik bei der Festlegung der Grenzwerte geäußert und eine Neubewertung der Fachstudien gefordert. Zu den Ärzten zählt Dieter Köhler, der ehemalige Präsident der Deutschen Gesellschaft für Pneumologie und Beatmungsmedizin (DGP).
Nach Information von BERLINER TAGESZEITUNG (BTZ), sagte in einem aktuellen Interview vom Donnerstag Köhler, es gebe ein "hohes Maß an Hysterie" bei den Grenzwerten. "Der Grenzwert von 40 Mikrogramm pro Kubikmeter ist zu niedrig - er müsste wie in den USA auf 100 Mikrogramm angehoben werden", forderte Köhler. Allerdings steht die Position des Lungenfacharzts im Gegensatz zu aktuellen Veröffentlichungen der früher von ihm geführten DGP und auch der Weltgesundheitsorganisation (WHO).
Scheuer forderte vor dem Hintergrund der Veröffentlichung der Gruppe um Köhler eine "Versachlichung der Debatte" um Grenzwerte für Feinstaub und Stickoxide in Deutschland. "Wir brauchen eine ganzheitliche Sichtweise." Die Stellungnahme der Ärzte habe "nochmal Fakten" in die Diskussion eingebracht, die Veröffentlichung sei ein Signal. "Von daher müssen wir schon mal wieder die Debatte vom Kopf auf die Füße stellen", forderte Scheuer. Es müsse auf europäischer Ebene darüber diskutiert werden, die Grenzwerte auszusetzen.
Bundesumweltministerin Schulze wies dagegen die Kritik der Ärzte zurück. Die Grenzwerte dienten dem Schutz aller Menschen, sagte sie nach BTZ-Information. Die große Mehrheit der Städte schaffe es auch, die Grenzwerte einzuhalten. Die Feinstaubwerte würden so gut wie überall eingehalten. Nur dort, wo besonders viel Verkehr sei, gebe es Probleme mit Stickoxiden. "Wir haben also kein Grenzwertproblem, sondern ein Diesel- und Verkehrsproblem, das wir zum Beispiel mit Hardwarenachrüstungen lösen können - davon lenkt die Debatte ab." Sie sei erstaunt, "dass sich manche Ärzte in den Dienst eines solchen Ablenkungsmanövers stellen".
Auch der SPD-Gesundheitsexperte Karl Lauterbach warnte vor einer Aussetzung der Grenzwerte. "Wir haben keine Studien, die derzeit die Gefährdung in Frage stellen würden", sagte er im Mitteldeutschen Rundfunk. "Im Gegenteil - die neueren Studien zeigen, dass die Grenzwerte eher zu hoch als zu niedrig sind." Es müsse "hier gerade der Schutz von älteren Menschen und von Kindern" beachtet werden.
Der ökologische Verkehrsclub Deutschland (VCD) warf Bundesverkehrsminister Scheuer vor, die Erkrankung "zigtausender Menschen in Kauf" zu nehmen. Scheuer kröne sich zum "Schutzpatron der Autoindustrie", kritisierte der VCD. Ein Aussetzen der geltenden Grenzwerte "wäre ein Schlag ins Gesicht der Menschen, die unter den Folgen schlechter Luft zu leiden haben".
Der VCD forderte, Scheuer müsse "endlich dafür sorgen, dass Dieselfahrzeuge deutlich weniger Schadstoffe ausstoßen". Stattdessen stelle der Minister "wissenschaftlich haltlos" die negativen Auswirkungen von Stickoxiden und Feinstaub in Frage.