EuGH: Thermofenster ist eine unzulässige Abschalteinrichtung
Geht es nach dem zuständigen Generalanwalt am Europäischen Gerichtshof (EuGH) in Luxemburg, ist ein sogenanntes Thermofenster bei Dieselfahrzeugen nicht mit EU-Recht vereinbar. Generalanwalt Athanasios Rantos wertete diese Technik zur Abgasreinigung in seinen Schlussanträgen am Donnerstag als Abschalteinrichtung. Bei normalen Nutzungsbedingungen verringere diese nämlich die Wirksamkeit der Abgasreinigung, argumentierte er. (Az. C-128/20 u.a.)
Beim Thermofenster handelt es sich um eine Technik, die viele Hersteller einsetzen. Ein Teil der Abgase wird in Dieseln wieder in den Motor zurückgeleitet und erneut verbrannt. Bei besonders warmen und vor allem bei kühleren Außentemperaturen werden durch das Thermofenster aber weniger oder keine Abgase zurückgeführt, was zur Folge hat, dass die Autos mehr gesundheitsschädliche Stickoxide ausstoßen.
In den konkreten Fällen geht es um Klagen aus Österreich gegen Volkswagen. Österreichische Gerichte legten dem EuGH dazu Fragen vor. Den Klagen zufolge funktionierte die Abgasreinigung bei den betroffenen Fahrzeugen nur bei einer Außentemperatur zwischen 15 und 33 Grad und bei einer Höhe von unter 1000 Metern vollständig.
Damit sei das Thermofenster für die tatsächlichen Fahrbedingungen nicht repräsentativ, erklärte der Generalanwalt. Amtliche Statistiken zeigten, dass die Durchschnittstemperaturen der Jahre 2017 bis 2019 in Österreich, Deutschland und in anderen EU-Mitgliedstaaten deutlich unter 15 Grad Celsius gelegen hätten. Aufgrund der Topografie Österreichs und Deutschlands würden die Autos außerdem oft in Höhen von mehr als 1000 Metern fahren.
Nach Ansicht des Generalanwalts fällt das Thermofenster auch nicht unter die Ausnahme, die für Einrichtungen vorgesehen ist, die den Motor vor Schäden schützen sollen. Ein Thermofenster schone vor allem Anbauteile, deren Funktionieren nicht den Schutz des Motors berühre, gab er an.
Es handle sich bei einer unzulässigen Abschalteinrichtung nicht um eine nur geringfügige Vertragswidrigkeit, argumentierte er. Verbraucher könnten darum die Auflösung des Vertrags verlangen.
Die Richterinnen und Richter müssen sich bei ihrem Urteil - das in einigen Monaten erwartet wird - nicht an das Gutachten des Generalanwalts halten. Sie orientieren sich aber oft daran.
Die Umweltschutzorganisation Deutsche Umwelthilfe forderte auf Twitter, die Bundesregierung müsse die betroffenen Pkw stilllegen oder auf Kosten der Hersteller nachrüsten lassen. "Sonst setzen wir dies per Gericht durch" erklärte Bundesgeschäftsführer Jürgen Resch.
Grünen-Fraktionsvize Oliver Krischer teilte mit, wenn das Urteil im Sinne des Schlussantrags ausfalle, hätte das "weitreichende Konsequenzen". Millionen von Euro-5-Diesel-Pkw aller Marken hätten es dann amtlich, "dass sie mit einer illegalen und nicht funktionierenden Abgasreinigung durch die Gegend fahren".
Der Generalanwalt bezog sich in seinen Schlussanträgen auch auf ein früheres Urteil des EuGH. Demnach sind Abschalteinrichtungen dann zulässig, wenn sie den Motor vor plötzlichen und außergewöhnlichen Schäden schützen sollen, die zu einer konkreten Gefahr beim Fahren führten. Volkswagen argumentierte in den Verfahren damit, dass dies beim Thermofenster der Fall sei. Ohne Thermofenster könne es zu übermäßigen Ablagerungen am Abgasrückführungsventil kommen, was wiederum den Motor auf unvorhersehbare Art beschädigen könne.
Es sei Sache der nationalen Gerichte zu beurteilen, ob dies trotz regelmäßiger Wartung des Autos passieren könne, erklärte Rantos nun. Volkswagen teilte in einer Reaktion auf das Gutachten am Donnerstag mit: "Nach den Kriterien, die der Generalanwalt in seinen Schlussanträgen aufgestellt hat", blieben die in Fahrzeugen des VW-Konzerns verwendeten Thermofenster weiterhin zulässig.
(O. Petrow--BTZ)